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Anders und besser wirtschaften in Europa! Alternative Wirtschaftspolitik heute.

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Vortrag anlässlich der Verleihung des Jörg-Huffschmid-Preis 2017 am 6.12.2017 von Dr. Axel Troost

Zunächst möchte ich mich für die Gelegenheit bedanken, hier anlässlich der Verleihung des Jörg-Huffschmid-Preises sprechen zu dürfen. Wie einige hier im Saal sicher wissen, hat mich eine über 30-jährige persönliche Freundschaft und wissenschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Jörg Huffschmid verbunden.

Ich werde in meinem ca. 25-minütigen Vortrag zunächst mit zwei Thesen zur heutigen Bedeutung von Wirtschaftspolitik beginnen, die ich dann in Richtung alternativer Wirtschaftspolitik in Europa zusammenführen. Im zweiten Abschnitt gehe ich dann darauf ein, wie alternative Wirtschaftspolitik heute konkret aussehen könnte und müsste. Am Ende richten wir den Blick dann noch mal etwas allgemeiner nach vorn.

Beginnen wir mit zwei Einstiegsthesen.

  • 1: „Die Chancen einer autonomen nationalen Wirtschaftspolitik waren nie schlechter als heute“
  • 2: „Die Notwendigkeit einer aktiven staatlichen Wirtschaftspolitik war nie größer als heute.“

Was zunächst wie ein unlösbarer Widerspruch klingt, lässt sich durchaus auflösen: Die Zeit autonomer nationaler Wirtschaftspolitik ist zwar vorbei, dafür ist die Zeit einer langfristig ausgerichteten transnationalen bzw. europäischen Wirtschaftspolitik umso mehr gekommen.

Die ökonomische Integration ist durch Globalisierung und insbesondere Europäisierung inzwischen so weit fortgeschritten, dass sich eine autonome Wirtschaftspolitik im Nationalstaat praktisch kaum mehr erfolgreich umsetzten lässt. Es könnte zwar theoretisch funktionieren, aber dafür müsste man die heutige und zukünftige Wirtschaftspolitik der Handelspartner genau kennen, müsste deren Auswirkungen antizipieren können und müsste dann die eigene Wirtschaftspolitik sehr vorausschauend – also quasi drei Züge im voraus – strategisch danach ausrichten.

Derart hohe Anforderungen sind praktisch nicht zu erfüllen, denn gute Wirtschaftspolitik braucht nun mal ein paar Jahre bis zum Erfolg und soweit kann niemand in die Zukunft schauen. In irgendeinem der wichtigen Handelspartner stehen immer gerade Wahlen mit ungewissem Ausgang an, es kommt irgendeine dem Kapitalismus nun mal innewohnende kleine oder größere Krise dazwischen oder ein bedeutsamer unerwarteter Umstand wie z.B. der Fall der Mauer oder eine Atomkatastrophe in Fukushima kommen dazwischen und mischen die Karten neu.

Die herrschende ökonomische Schule – also die Neoklassik – hat eine klare Antwort auf diese Situation: aufgrund der Komplexität und Unberechenbarkeit von Globalisierung und Europäisierung soll der Staat von strategischer Wirtschaftspolitik schlichtweg die Finger lassen.

Statt dessen sollen sich die Staaten im Inland und – über multilaterale Vereinbarung – auch im Weltmaßstab zu berechenbaren Spielregeln verpflichten, damit die Märkte unverfälschte Signale für die betriebswirtschaftlich richtigen Entscheidungen der privaten Unternehmen geben können.

Unterstellt wird dabei, dass Marktsignale – d.h. praktisch die Entwicklung einzelner Preise – die Komplexität wirtschaftlicher Entwicklungen soweit abbilden, dass die Unter-nehmen allein daraus die korrekten Richtungsentscheidungen für ihre Unternehmensstrategie ableiten können. Das ist ein immens hoher Anspruch an die Indikatorfunktion von Preisen bzw. Märkten, wenn man gleichzeitig bedenkt, dass das Niveau von Komplexität und wechselseitigen Abhängigkeiten angeblich zu hoch ist, als dass eine staat-liche Behörde daraus irgendwelche Schlussfolgerungen für eine eigene Wirtschafts-politik ableiten können soll.

Oder es ist die Annahme, dass staatliche Behörden grundsätzlich eher dumm und unfähig, private Unternehmenslenker hingegen zumindest zu einem erheblichen Teil besonders intelligent, kompetent, geradezu genial sind.

Um nicht missverstanden zu werden: Auch die herrschende neoklassische Wirtschaftswissenschaft wird von sich sagen, dass es so etwas wie Wirtschaftspolitik gibt und braucht, dass also staatlichem Agieren in Fragen der Wirtschaft eine große Bedeutung zukommt, gerade auch auf internationaler Ebene.

Gemeint sind damit aber multilaterale Abkommen, die das Handeln von Staaten gerade dadurch für Unternehmen berechenbar machen sollen, dass sich die Staaten wirtschaftspolitisch zum Nicht-Eingreifen, zur Nicht-Politik verpflichten, um den vermeint-lichen Marktkräften freien Lauf zu lassen.

Und tatsächlich: Wenn sich z.B. die Bundesrepublik erst einmal zur Mitgliedschaft in einer EU, einer WTO oder einem CETA entschieden hat, können nachfolgende Bundestagswahlen daran nur sehr schwer etwas ändern. Aus neoliberaler Sicht wird auf diese Weise ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor des Wirtschaftsgeschehens, nämlich nationale Demokratie, weitgehend neutralisiert.

Um ein zweites Missverständnisse zu vermeiden: ich habe nichts grundsätzlich gegen Märkte. Marktpreise können wichtige Informationen geben. Wogegen sich aber die Anhänger einer alternativen Wirtschaftspolitik wenden ist die naive Allmachtsphantasie, mit der marktgläubige Ökonomen und Politiker die Möglichkeiten und Fähigkeiten von Märkten grandios überschätzen. Marktpreise geben mir im guten Fall eine hilfreiche Information über eine ökonomische Entwicklung bis zum jetzigen Zeitpunkt bzw. – gerade auf Finanzmärkten – über die Zukunftserwartungen von Marktteilnehmern. Märkte sind aber kein Orakel, dass die Zukunft kennt. Und noch viel weniger sind Märkte eine geeignete Richtschnur dafür, welche Zukunft man anstreben sollte.

Es ist wie mit dem Rückspiegel im Auto auf der Landstraße: auch der kann mir nur sagen, ob mir vielleicht ein oder mehrere Autos von hinten drauffahren werden, wenn ich hier und jetzt wie angewurzelt stehen bleibe. Der Rückspiegel verrät mir aber nichts darüber, ob vor mir eine Kurve liegt, selbst wenn die rückwärtige Straße völlig gerade verläuft. Das spricht nicht gegen den Rückspiegel, sondern nur dafür, dass man zum Autofahren auch eine Frontscheibe nach vorne braucht.

Das Bild von der Landstraße taugt auch noch in anderer Hinsicht ganz gut. Während die Neoklassik von nur einem möglichen Marktgleichgewicht – gleichsam einem einzigen Straßenverlauf nach vorne – ausgeht, unterstellt alternative Wirtschaftspolitik immer das Vorhandensein einer Vielzahl von Weggabelungen – bzw. erreichbaren Marktkonstellationen. Während die Neoklassik quasi nur eine Richtung kennt – und demnach auch keinen Bedarf nach strategischen wirtschaftspolitischen Entscheidungen sieht – braucht es in einer linken Ökonomie, sei sie nun eher keynesianischer oder marxistischer Art, immer ein Lenkrad für politische Entscheidungen, wohin an Weggabelungen und -kreuzungen gesteuert werden soll.

Zugespitzt ausgedrückt kann aus linker Sicht eine Laissez-Faire-Politik, also bildlich gesprochen der bewusste Verzicht der Neoklassik auf ein Lenkrad, nur im Graben oder am Baum enden.

Wenn ich also von Alternativer Wirtschaftspolitik spreche, meine ich einerseits die Rück-kehr zu einem zielgerichteten und längerfristigen Vorgehen des Staates zur Beeinflussung der Wirtschaftsentwicklung.

Andererseits meine ich damit aber eben auch automatisch eine mindestens europäisch gedachte Zukunftsperspektive, denn die Zeiten, in denen selbst Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Land Europas eine nationale Wirtschaftsstrategie z.B. für seine Stahl-, Werften-, Agrar oder Chemieindustrie ohne Berücksichtigung seiner ausländischen Handelspartner und -konkurrenten ausdenken und umsetzen konnte, sind wirklich lange vorbei.

Alternative Wirtschaftspolitik meint also notwendig eine aktive und transnationale Politik. Kaum jemand hat diese Einsicht besser verkörpert als Jörg Huffschmid. Als viele linke Ökonomen in Deutschland nach der Wiedervereinigung noch primär über Wirtschaftspolitik im nationalen Rahmen gestritten haben, hat Jörg mit einigen Gleichgesinnten bereits 1995 die Europäische Memorandum-Gruppe ins Leben gerufen.

Der Titel des ersten Euro-Memorandums vor fast genau 20 Jahren im Jahr 1997 klingt daher wohl nicht nur für mich wie eine Prophezeiung. Er lautete „Vollbeschäftigung, sozialer Zusammenhalt und Gleichheit für Europa – Alternativen zur Wettbewerbs-Auste-rität“.

Damit komme ich zum zweiten Teil des Vortrags, nämlich der Frage:

 

Was aber genau meint dann Alternative Wirtschaftspolitik heute?

Das ist eigentlich gar nicht so schwer zu sagen, denn in wesentlichen Eckpunkten sind sich linke ÖkonomInnen relativ einig, was unverzichtbare Eckpfeiler einer alternativen, europäischen Wirtschaftspolitik sein müssen. Auch wenn die Situation und die Handlungsbedarfe in verschiedenen Ländern natürlich unterschiedliche Schwerpunkte erfordert, will ich auf vier Eckpfeiler eingehen:

  1. Öffentliches Investieren in Daseinsvorsorge und den sozial-ökologischen Umbau;
  2. Abbau außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte;
  3. Domestizierung der Finanzsphäre und
  4. Aufwertung und demokratische Neubegründung der EU als Akteur.
  1. Öffentliches Investieren: Der dringend nötigen Renaissance des Öffentlichen – nicht nur des Staatlichen – entspricht in der alternativen Wirtschaftspolitik vor allem die massive Ausweitung der öffentlichen Investitionstätigkeit, und zwar in den unterschiedlichsten Bereichen. Das geht es sowohl um materielle Infrastruktur wie Straßen, Brücken, Hochschulen und Schulen, Kanalisation etc., aber auch Energie- und Datennetzen. Gleichzeitig bedarf es im Rahmen des sozial-ökologischen Umbaus auch immaterieller Investitionen in Bildung, in Gesundheit, in Pflege, in Inklusion. Und drittens – und keineswegs nachrangig – um die Verkehrs- und Versorgungsnetze, Bildung, Gesundheit und Pflege. Und es bedarf öffentlicher und öffentlich geförderter unternehmerischer Investitionen, in Deutschland z.B. massiv im Bereich des Wohnungsmarktes, d.h. einer groß angelegten Neubau- und Sanierungsoffensive alter und neuer öffentlicher Wohnungsbauunternehmen, die auf bezahlbares und sozial-nicht-trennendes Wohnen orientiert, also nicht nur billige Wohnsilos am Stadtrand errichtet. Bei dieser Initiative für „das Öffentliche“ geht es nicht nur um eine bessere und preisgünstigere Versorgung der Bevölkerung mit notwendigen Gütern. Diese Initiative muss zugleich ein Experimentierfeld neuer Formen der Partizipation und demokratischen Kontrolle sein, die quasi einen wirtschaftsdemokratischen Sektor in der Ökonomie schafft.
  1. Außenwirtschaftliche Ungleichgewichte abbauen: Wirtschaftspolitik – also europäische Wirtschaftspolitik – muss systematisch immer auch im Sinne ökonomischer Konvergenz gedacht sein, die nicht durch Marktkräfte, sondern in der Regel nur gegen Marktkräfte erreicht werden kann. Konvergenz bedeutet auch, dass alle Mitgliedsländer in der Wirtschaftsgemeinschaft – und umso mehr in der Währungsunion – einen angemessenen Anteil an der industriellen Gesamtproduktion beitragen. Industrielle Produktion – z.B. im Vergleich zu den meisten Dienstleistungen – bringt tendenziell immer höhere Produktivität und höhere Lohnniveaus mit sich. Es kann nicht sein, dass einige wenige Länder in der EU – so wie Deutschland oder die Niederlande derzeitige – quasi die industrielle Produktion für die gesamte Union übernehmen und dann ihre Produkte dem Rest der Union verkaufen. Die Folge sind nämlich dramatische Leistungsbilanzüberschüsse für Deutschland und Holland, die die anderen Partner der Union zum Hinnehmen von Leistungsbilanzdefiziten zwingen. Und chronische Leistungsbilanzdefizite verursachen immer Arbeitslosigkeit und führen früher oder später in die Überschuldung. Schon seit der Verabschiedung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes 1967 ist die Erreichung eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts ein wirtschaftspolitischer Auftrag an jede deutsche Bundesregierung. Leider haben die Bundesregierungen der letzten 50 Jahre diesen gesetzlichen Auftrag konsequent ignoriert. Der Auftrag ist aber heute aktueller denn je, denn mit der Schaffung des Euros wurden auch die letzten währungspolitischen Spielräume abgeschafft, um Leistungsbilanzungleichgewichte durch Währungsanpassungen abzufedern. Heute kann ein außenwirtschaftlichen Gleichgewichte in der Euro-Zone nur noch durch aktives Eingreifen in die Innovationsfähigkeit, in die Fiskalpolitik, in das Lohngefüge und in die Arbeitsmarktordnungen der Mitgliedsländer erfolgen.
    Und genau diese Eingriffe können entweder kooperativ und solidarisch erfolgen – oder die Anpassungslasten werden einfach den Schwächsten aufgebürdet. In der bisherigen Euro-Krise ist nur letzteres passiert, und an diesem Egoismus droht die EU nun aus-einander zu brechen. Länder wie Spanien, Portugal, Irland und Griechenland wurden zu Krisenländern erklärt, weil sie nicht nur der Ort der Krise, sondern auch die vermeint-lichen Verursacher der Krise seien.
    Eine solidarische, zukunftsfähige europäische Wirtschaftspolitik wird stattdessen darauf achten, dass durch öffentliche Förderung und gezielte Infrastrukturmaßnahmen neue Produktion und Innovation vor allem dort entstehen, wo die Not und die Arbeitslosigkeit regional besonders groß sind. Und sie muss Einfluss nehmen auf die Entwicklung der Löhne, der Produktivität und der Qualität der Arbeit.
    Und bitte keine Ausreden der Politik von wegen Tarifautonomie. Tarifautonomie ist eine historische Errungenschaft und muss verteidigt werden. Aber die Rahmenbedingungen, unter denen die Tarifparteien verhandeln, werden von der Politik gesetzt. Die ganze Agenda 2010 war nichts weiter als ein riesiger Eingriff der rot-grünen Bundesregierung ins deutsche Lohngefüge – zulasten der ärmeren Bevölkerungsgruppen in Deutschland UND zulasten Europas. Kein einzelnes Gesetzespaket trägt mehr Verantwortung für die Krise der Euro-Zone als diese deutsche Niedriglohn-Offensive.

 

  1. Domestizierung der Finanzsphäre: Eine erfolgreiche alternative Wirtschaftspolitik in und für Europa muss sich durch eine gemeinsames, geschlossenes Auftreten der europäischen Staaten auf den Finanzmärkten auf mindestens vier Ebenen auszeichnen:
    Das bedeutet erstens natürlich zunächst einmal eine deutlich stärkere Re-Regulierung der Finanzmärkte mit dem Ziel, den Finanzsektor und vor allem die großen Finanzkonzerne dramatisch zu schrumpfen und zu entmachten. Im Ergebnis hat die globale Finanzkrise die Großbanken nicht kleiner, sondern größer gemacht. Das Risiko von „Too big to fail“ und die Konzentration politischer Macht in der Hand privater Konzerne ist dadurch nur noch größer geworden.
    Die herrschende Politik hat seit 2008 durchaus erhebliche Schritte zur Regulierung eingeleitet, aber sie waren und sind allesamt vom Leitbild der gewinnorientierten börsennotierten Großbank geprägt. Gerade den kleinteiligen und nicht-gewinnorientierten Finanzunternehmen wie Genossenschaftsbanken und Sparkassen wurde und wird damit das Leben unverhältnismäßig schwer gemacht, obwohl gerade sie ein Vorbild für einen sehr viel weniger krisenanfälligen und für Entwicklung der Realwirtschaft viel nützlicheren Finanzsektor sein sollten.
    Zu einem europäischen Auftritt der Politik gegenüber den Finanzmärkten gehört zweitens auch eine gemeinschaftliche Kreditaufnahme (Stichwort Euro-Bonds), um als na-tionale Regierung nicht länger dem Erpressungspotential der Anleger ausgeliefert zu sein.
    Damit ist keine Vergemeinschaftung der Staatsschulden gemeint und natürlich muss es auch vernünftige Regeln für die Nutzung dieser gemeinsamen Kreditaufnahme geben. Aber es gibt keine politische Rechtfertigung dafür, dass Deutschland als einerseits großes und wohlhabendes Land und andererseits als wesentlicher Mitverursacher der Euro-Krise durch das extrem niedrige Zinsniveau in zwei bis dreistelliger Milliardenhöhe profitiert, während die ohnehin von der Krise schon hart getroffenen Länder für ihre Staatsschulden auch noch zusätzlich irre Risiko-Aufschläge zugunsten privater Gläubiger bezahlen müssen. Das ist nicht nur nicht-solidarisch, das ist schlicht asozial.
    Eine alternative europäische Wirtschaftspolitik gegenüber den Finanzmärkten darf sich aber drittens nicht nur auf Finanzunternehmen im engeren Sinne konzentrieren. Es geht vielmehr um eine generelle Zurückdrängung der finanzmarktorientierten Unternehmenskultur, also des gesamten „Shareholder-Kapitalismus“. Durch Änderung von Bilanzierungsstandards und Meldepflichten, durch eine Zurückdrängung kurzfristiger Aktien- und anderer Wertpapiergeschäfte – Stichwort Finanztransaktionsteuer – und durch die Stärkung der Mitsprache der Beschäftigten und der Öffentlichkeit müssen Unternehmensziele endlich wieder längerfristig ausgelegt und einseitige Kostenverlagerungen zulasten von Beschäftigten, Umwelt und Gesamtgesellschaft verhindert werden. Konkret ließe sich das auf europäischer Ebene z.B. durch gemeinsame Mindeststandards bei Mitbestimmung und bei Transparenz- und Veröffentlichungspflichten für Unternehmen in der EU befördern.
    Und es bleibt nicht zuletzt viertens die Arena der Geld- und Währungspolitik. Die Europäische Zentralbank hat sich in der Krise als die mit Abstand handlungsfähigste europäische Institution erwiesen. Was auch immer man von der Geldpolitik der EZB hält – und ich halte geldpolitisch (nicht als Mitglied in der Griechenland-Troika) ziemlich viel davon –, sie hat trotz eines recht restriktiven Mandats und trotz bisweilen starken politischen Gegenwinds aus einzelnen Mitgliedsstaaten nach anfänglichen Startschwierigkeiten recht pragmatisch und undogmatisch auf die globale Finanzkrise reagiert. Diesen Pragmatismus der Geldpolitik gilt es auszubauen und der EZB diesen neuen Pragmatismus auch ausdrücklich ins geldpolitische Mandat zu schreiben, um ihr so den Rücken gegenüber den privaten Finanzmarktakteuren zu stärken.
    Es ist sicher kein Zufall, dass wir hier im Jahr 10 nach Beginn der globalen Finanzkrise zwei Arbeiten mit dem Jörg-Huffschmid-Preis auszeichnen, die sich beide intensiv mit der Schnittstelle von Regierungspolitik einerseits und Geldpolitik von Zentralbanken andererseits auseinandersetzen. Die politische Steuerung des Geldes, samt der Beeinflussung seines Außenwerts als Wechselkurs, ist ein sehr mächtiges Instrument, dessen Durchschlagskraft sich erst dann zeigt, wenn es durch wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Maßnahmen der Regierungen flankiert wird. Mit Geldpolitik allein kann man bei expansiver Konjunktur- und Wachstumspolitik bestenfalls das Schlimmste verhindern, nicht aber das Gute schaffen.
  1. Nach den skizzierten drei Eckpfeilern „Öffentliche Investitionen“, „Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte“ und der „Domestizierung der Finanzsphäre“ will ich nun als viertem Pfeiler einer alternativen Wirtschaftspolitik noch auf die EU als Akteur selbst eingehen. Die Europäische Union und ihre Institutionen stehen zurecht massiv in der Kritik und auch innerhalb der Linken ist die Frage hoch umstritten, ob man diese EU „NUR“ radikal reformieren muss, oder ob es einen europäischen institutionellen Neuanfang geben muss.
    Wie wir zuvor festgestellt haben, kann eine erfolgreiche alternative Wirtschaftspolitik nur eine europäische Wirtschaftspolitik sein. Dann versteht es sich von selbst, die Forderungen nach einer wirtschaftspolitischen Alternative auch an die EU zu richten. Gefordert ist dafür nicht nur eine andere Politik der EU, sondern eine andere EU selbst.
    Zu den wichtigsten Elementen einer grundlegend anderen EU, in der eine wirtschaftspolitische Alternative überhaupt erst sinnvoll vorstellbar wäre, gehören:
  1. die Schaffung einer Zuständigkeiten der EU für eine wirksame Koordination der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedsländer entlang der oben genannten drei Eckpunkte, begleitet durch die Einführung von Mehrheitsentscheidungen über viele wirtschaftspolitische Fragen in der Union,
  2. eine deutliche Vergrößerung des Budgets der EU, damit eine für diese Koordination zuständige europäische Institutionen – nennen wir sie mal europäische Wirtschaftsregierung oder europäische Wirtschaftsministerin – auch über eine hinreichend großen eigenen Finanzspielraum verfügt, mit dem sie eigenständige Projekte anschieben kann, mit denen sich gesamtwirtschaftlich etwas ausrichten lässt,
  3. Solche Forderungen nach Aufwertung und quasi einem Vertrauensvorschuss für die EU ist den Bürgerinnen und Bürgern – und insbesondere den EU-Kritikern – nur dann zu vermitteln und zuzumuten, wenn die EU selbst viel demokratischer wird und sie ein soziales Profil zurückgewinnt. Es bedarf daher einer Aufwertung des Europäischen Parlaments, das endlich das Recht zur Einbringung eigener Gesetzesinitiativen bekommen muss und viel weitgehendere Befugnisse gegenüber der Kommission erhalten muss. Ein sozialeres Profil erhielte die EU dadurch, dass sie in ihren Politikempfehlungen endlich aufhört, soziale Standards nach unten zu nivellieren, statt soziale Missstände zu benennen. Eine Zuständigkeit für die Koordina-tion der Sozialen Sicherungssysteme und langfristig eine europäische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik können ein solches Profil der EU unterstützen. Es bräuchte daher auch zeitnah eines konkreten „europäischen Sozial-Leuchtturms“, der den Menschen hilft, sich Europa als Solidargemeinschaft vorzustellen. Ein Beispiel dafür könnte eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung sein, die es auch ökonomisch für einzelne EU-Länder unattraktiv macht, durch merkantilistische Politik einfach Arbeitslosigkeit ins EU-Ausland zu exportieren.
    Mit dem ungerechten und asozialen Konkurrenzgebaren in der EU, Stichwort „Steuerwettbewerb und Steueroasen“ muss dann natürlich ebenfalls Schluss sein. LuxLeaks, Panama Papers und Paradise Papers machen aber zugleich deutlich, wie weit wir von einem solchen Szenario entfernt sind.
  1. Last but not least wäre auch eine im Alltag der Bürgerinnen und Bürger erfahrbare Life-Style-Institution hilfreich. Nichts hat Europa für die Menschen erfahrbarer gemacht als die Freiheit des Reisens, sich in anderen Ländern Europas aufzuhalten, sei es nun aus berufliche Gründen, als Studium oder Praktikum im Ausland, oder einfach als Urlaubsreise. Wäre da nicht so etwas wie eine öffentliche europäische Eisenbahngesellschaft eine faszinierende Idee für eine gelebte Begegnungsinfrastruktur in Europa?

 

Abschluss und Ausblick

Damit will ich zum Ende kommen. Sicher gibt es über die vorgenannten Eckpfeiler einer alternativen europäischen Wirtschaftspolitik auch in der Linken viel Diskussionsbedarf in den Details und sicher auch den einen oder anderen größeren Dissens. Ich glaube aber, dass es eine bemerkenswert breite Einigkeit darüber gibt, dass nur eine derart breit angelegte Offensive und quasi Wieder-Erfindung des Politischen in Europa die derzeitige Krise zu überwinden vermag. Meine These als Ausblick lautet daher: „Europa muss ein soziales Europa werden, oder es wird als politisches Projekt auseinanderbrechen.“ Um aber Wohlstand für alle in Europa zu erreichen, braucht es starke politische Institutionen in Europa, die die Richtung vorgeben und dies nicht den Märkten überlassen.

Diese Institutionen müssen auf soziale Ziele verpflichtet sein und eine sehr viel demokratischere Mitwirkung der europäischen Bevölkerungen erlauben. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Das gilt auch in Europa. Ohne eine Alternative Wirtschaftspolitik in der EU, die für Europa die Produktion UND die Verteilung eines keines-wegs nur materiellen Wohlstands sicherstellt, besteht keine Aussicht auf ein soziales Europa – und auf eine Europäische Moral, die den Kontinent längerfristig zusammenhält.

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Steinmeier will ermutigen

SteinmeierWillErmutigen

von Uwe-Karsten Heye

Nun haben wir den Bundespräsidenten der Herzen, und andererseits auch den  der klaren  Sprache. Frank-Walter Steinmeier kommt also ohne verschwurbelte Sätze aus, die man als „Diplomatensprache“ kennt. Klare Ansage an Recyp Erdogan, den Noch-Ministerpräsidenten auf dem Weg zum Sultanat und zur Alleinregierung, der die Demokratie in der Türkei mit der Abrissbirne traktiert. Dass Steinmeier die Freilassung von Deniz Yücel fordert ist richtig, aber das sollte nicht heißen, dass uns die übrigen 149 Journalisten in den Gefängnissen des Landes gleichgültig sein dürften.

Es war vor allem eine politische Rede, die den Hinweis des neuen Bundespräsidenten deutlich macht, dass er zwar überparteilich, aber nicht neutral sein Amt begreift. Wie sollte er auch, angesichts der Herausforderungen, die Deutschland in Europa derzeit vergegenwärtigt. Nicht nur Polen oder Ungarn sind mit Siebenmeilenstiefeln auf dem Weg in autoritäre, bestenfalls  formaldemokratische Strukturen. Wenn sie sich weiter einer konstruktiven Mitwirkung in Europa verweigern, dann wäre es an der Zeit, darüber nachzudenken, ihre  Mitwirkungsrechte in den europäischen Entscheidungsgremien auszusetzen.

Steinmeier hat Warschau und sicher auch Budapest auf der Liste der Hauptstädte, denen er neben Washington demnächst einen Besuch abstatten wird. Er wird nicht umhin können, die Situation der Europäischen Union dort realistisch zu beschreiben. Hätte sich Europa etwa auf eine konstruktive Haltung in der Flüchtlingsfrage verständigen können, wäre das Faustpfand von zwei Millionen Flüchtlingen, mit dem Erdogan Europa erpresst, ohne Wirkung.

So sieht sich die EU den wachsenden Drohungen eines Potentaten ausgesetzt, der sich nicht einmal scheut, jeden einzelnen Europäer zu bedrohen und dessen körperliche Integrität in Frage zu stellen. Erdogan tut alles, um die wachsende Abwehr gegen den Islam anzuheizen und damit die mehr als vier Millionen Türken, die in Deutschland leben, zu spalten und deren Alltag zu erschweren. Es war gut, dass sich Steinmeier daher im Bundestag direkt mit dem türkischen Staatspräsidenten auseinandersetzte und nicht das Land Türkei mit ihm verwechselte.

Die Außenpolitik blieb also nicht ausgespart. Dennoch mindestens so wichtig waren seine innenpolitischen Anmerkungen, die keinen Zweifel erlauben, dass Steinmeier sich nicht scheuen wird, auch die Wirtschaftseliten und wachsenden Betrügereien von Bankn  und Autobauern beim Namen zu nennen. Es war eben auch ein sozialdemokratischer Grundakkord hörbar, der deutlich machte, dass Politik, in einer zunehmend zwischen Arm und Reich gespaltenen Gesellschaft, ein entscheidendes Handlungsfeld hat. Andernfalls wäre die notwendige Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Stimmungen wenig erfolgversprechend.

Ein ermutigender Einstand des neuen Bundespräsidenten, der zu einem Zeitpunkt sein Amt antritt, in  dem Zeichen eines wachsenden Widerstandsteistes wahrnehmbar sind. Sei  es das gemeinsame Europa, das jeden Sonntag in mittlerweile vierzig Städten der Bundesrepublik eine an Zahl wachsende Unterstützung tausender Menschen findet, die den  Puls für das grenzenlose Europa wieder nach oben treiben. Das gleiche gilt für die offene Gesellschaft, die zu verteidigen ebenfalls wachsende Unterstützung findet, mit vielen Anregungen und zunehmender Öffentlichkeit. Es lohnt, das Sofa zu verlassen. Für Resignation besteht kein Anlass. Also aufstehen und Haltung zeigen.

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Europäische Flüchtlingsintegration als gemeinsame kommunale Entwicklung

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Im Folgenden stellen wir ein Dokument in deutscher und englischer Fassung bereit, dass sich mit den Chancen eines positiven Anreizsystems für Kommunen zur Aufnahme von Flüchtlingen auseinandersetzt.

Kurzfassung/Abstract

The European Union desperately needs a realistic and human rights oriented border and migration policy. The present stage brings the EU in a dangerous dependency of the Turkish President Erdogan, presumes African countries as safe which are not clearly safe und supposes Northern African countries as possible migration-policy partners which are neither coherent states, nor safe nor observing minimal human rights standards.

The general political objectives to help overcoming the causes for migration, to support countries close to migration origins in hosting refugees and to realize the Europeanisation of the border regime are necessary but insufficient steps. The idea to “outsource” the migration control into countries outside the EU is not realistic in the long run. It also undermines the fundamental values of the EU. The present policy which implicitly and inevitably leads to a “Fortress” Europe scenario is already undermining our open societies and will create new internal borders.

By showing the possibilities to integrate refugees, cities and municipalities can help their national governments to fulfill their duties. This will have a positive impact on their mutual cooperation and communication.

A European funding tool for integrating refugees which cities and municipalities could apply for, would realize three objectives at once:

  1. Find a humanitarian solution for the settlement of refugees in Europe,
  2. Revive a European commitment by bottom-up citizen participation, and
  3. Start a decentralized sustainable growth initiative at local level to overcome unemployment.

The obstacles to overcome are:

  • To convince the national governments that this strategy is in their interest helping them to fulfill their legal and moral duties and to revive their economy;
  • To find simple and uncomplicated ways for financing the integration costs for cities and municipalities. Their own contribution could be financed for example by a cheap EIB credit;
  • To find ways to match the interests of the refugees and of the possibly welcoming municipalities so that the refugees would go there and stay.

The application of the municipalities should be as easy as possible but of course include minimal standards:

  • In order to reach a broad support within the cities the application should be prepared by a multi-stakeholder governance including politics, business and organized civil society;
  • it should include an integration strategy for the whole municipality;
  • it should include an anti-corruption strategy;
  • it should include a macro-economic idea for creating jobs and sustainable growth

In a longer perspective, the European Council should give the permission to create a trust fund attached to the EIB with a specific governance to control and at the same time make it easier to cities to apply for the financing of refugees and of necessary infrastructure.

In a shorter perspective, a pilot project could be launched by a group of European cities applying to integrate refugees according to this concept and therefore, asking for financing. This could be possibly managed within the frame of a “Union Action” as an extraordinary measure. The advantage would be to test the viability of this strategy and to start a visible European “revival” which would empower the citizens and strengthen their identification with the European Union by participation and common projects.

For more information and details please read the following full-paper or contact us via info@restart-europe-now.eu

European Refugee Policy (english)
Konzept für Richtlinien zur europäischen Flüchtlingspolitik (deutsch)

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Griechenland: Schäuble dreht durch

SchäubleDrehtDurch

von Dr. Axel Troost

Es wird immer deutlicher: Der deutsche Finanzminister, der Griechenland eine Spar- maßnahme nach der anderen aufnötigt und das Land einst aus der Eurozone werfen wollte, setzt wieder auf Eskalation. Gerade hat das Handelsblatt berichtet, dass Sigmar Gabriel Anfang Januar 2017 in einem Brief an die Bundeskanzlerin äußerte, er verfolge die Diskussion um das Hilfsprogramm mit „großen Sorgen“. Laut Gabriel, damals noch Wirtschaftsminister und Parteivorsitzender, liegen „insbesondere die Positionen des Bundesministeriums der Finanzen und des Internationalen Währungsfonds (IWF) offen- bar so weit auseinander, dass eine Einigung derzeit ausgeschlossen erscheint.“ Laut Gabriel soll der im Programm vereinbarte Primärüberschuss von 3,5 Prozent des BIP nur über drei Jahre eingehalten werden müssen und nicht über zehn Jahre, wie Schäuble fordert.

Durch das Abrücken von den überzogenen Vorgaben hätte Griechenland ab 2021 im Haushalt neue Spielräume von 3,6 Milliarden Euro, mit denen die Lage der leidgeprüf- ten Bevölkerung verbessert werden könnte. Für ein kleines Land mit einem Siebtel der deutschen Bevölkerung wären dies spürbare Beträge. Wie zu erwarten war, wies Schäuble den Vorschlag aber stur zurück.

Bisher konnte Schäuble seine Vorstellungen nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der Eurogruppe aufdrücken. Der Internationale Währungsfonds ist allerdings schon länger nicht mehr bereit, ihm zu folgen und macht seine eigentlich vorgesehene Beteiligung am laufenden Programm von einigen Vorbedingungen abhängig. Er hat zu- letzt immer wieder gebetsmühlenhaft betont, die griechische Schuldenlast müsse auf ein tragbares Niveau gesenkt werden und die Sparvorgaben seien unrealistisch. Schäuble hat den IWF aber seit anderthalb Jahren komplett auflaufen lassen. Als Zuchtmeister ist der IWF erwünscht, in der Bewältigung von Schuldenkrisen hält ihn Schäuble aber anscheinend für inkompetent. Dabei sollte der IWF gerade wegen seiner großen Erfahrung mit ins Boot geholt werden. Ein Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt.

Die Beteiligung des IWF steht auch aus einem anderen Grund unter einem schlechten Stern. Laut Trump handelt sich die Griechenland-Krise um eine europäische Angele- genheit, aus der sich die USA raushalten sollte. Deutschland sei reich und mächtig ge- nug, um das Problem zu lösen: für Deutschland handele es sich um Peanuts. Da Trump schon sehr viel abwegigere Positionen aufrechterhalten hat und die USA im IWF eine Sperrminorität haben, könnte er der IWF-Beteiligung jeden Moment per Twitter der Garaus machen. Umso schändlicher, wenn nun die CDU sich bemüht, allein Griechen- land die Schuld am erwartbaren Scheitern der IWF-Beteiligung zuzuschanzen.

Viele Linke haben sich seit der Niederlage im Juli 2015 enttäuscht über die Vorkomm- nissen in Griechenland abgewendet. Als könne die Regierung eines Landes mit 2 Pro- zent der Bevölkerung und 1 Prozent der Wirtschaftskraft der EU mal so eben in Europa einen Politikwechsel herbeiführen. Jetzt wird aber wieder einmal klar: der Schlüssel für Veränderungen in Europa liegt in Deutschland. Schäuble hat sich in seinen Wahn hin- eingesteigert und nimmt ein ganzes Land zur Geisel. Mit dieser CDU ist ein solidari- sches Europa nicht zu machen. Griechenland braucht unsere Unterstützung heute mehr denn je.

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Hoffentlich ist Europa gewappnet – Trump und der neue Nationalismus

HoffentlichIstEuropaGewappnet

von Uwe-Karsten Heye

Nun wissen wir endlich, dass Donald Trump doch über erstaunliche Fähigkeiten verfügt. So kann er mit einem Blick genau 1.5 Millionen Menschen zählen, die ihm bei der Inauguration in Washington zugejubelt haben sollen. Die Medien hingegen meldeten nur einige Hunderttausend, was ihnen der erzürnte der US-Präsidenten noch heimzahlen wird, wie sein Pressesprecher drohte. Der „Lügen“-Presse stehen also Zeiten bevor, in denen sie alternativ belogen wird  Nicht belegt ist bislang, dass er auch den amtlichen den Lottozahlen widersprechen werde. Er hätte andere und die allein könnten daher richtig sein, wird kolportiert. Neben Frau und Vaterland liebt er nun auch noch die CIA und findet es toll, dass eine nicht genau benannte Zahl von Agenten die Arbeit für den Geheimdienst mit dem Leben bezahlten. So jedenfalls wurden seine etwas sprunghaften Ausführungen am Sonntag vor der Führung der CIA in New York verstanden.

Tatsächlich aber setzt er nur fort, was sein republikanischer Vorgänger George W. Bush vorgemacht hat. Anders als Trump brauchte der dazu allerdings noch die Anleitung seines Vizepräsidenten Dick Cheney, der wiederum die Geheimdienste anwies, Fälschungen über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak zu präparieren, womit ein Krieg unvermeidlich wurde. Es war kein Geringerer als der Außenminister Colin Powell, der in der UN-Vollversammlung in New York die als  Beweise getarnten Lügen vorzutragen hatte, die den Überfall auf den Irak durch US-Truppen und die Koalition der Willigen auslösten.

Seit dem haben wir den Schlamassel im Nahen Osten, Bürgerkrieg und Millionen Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Westen machten. Kein Wunder, dass Colin Powell seither auf Präsident Bush schlecht zu sprechen ist, und dass er seinen Auftritt vor der UN-Vollversammlung als „schwärzesten Tag“ seines Lebens bezeichnet hat. Man  kann gespannt sein, wie viele Minister, die von Donald Trump ausgewählt sind, 15 Jahre später zu ähnlichen Äußerungen getrieben werden. Da viele von Ihnen die Last ihres Reichtums tragen, beitragen, muss man sich um sie gewiss keine sozialen Sorgen machen.

Nach der Rede vor dem Capitol wissen wir nun endlich, was von Donald Trump zu erwarten ist. Zu seiner ersten Amtshandlung gehörte auch die Unterschrift unter einen Erlass, der der von Trump-Vorgänger  Obama eingeführten Krankenversicherung den Garaus machen soll. Die Wirtschaft der USA wird die damit verbundene Entlastung sicher mit brausendem Hurra zur Kenntnis nehmen. Zwanzig Millionen Amis, bislang krankenversichert,  werden dann  wieder ohne ausreichende ärztliche Hilfe auskommen müssen und wir in Europa werden in den  Reportagen über den US-Alltag wieder viele Menschen sehen, denen die Zähne ausfallen, weil sie die Zahnarztkosten nicht aufbringen können. Milliardär Trump wird also mit diesem „Sozialismus“ von Obama endlich wieder aufräumen. Die Republikaner werden ihm zujubeln, die im Senat und im Repräsentantenhaus die Mehrheit stellen.

Außenpolitisch wird er in seinem republikanischen Vorgänger Bush ein Vorbild sehen und im Nahen Osten wird er Israel die Versicherung geben, dass er die verschärfte Siedlungspolitik unterstützt. Die damit verbundene Aneignung von palästinensischem Hoheitsgebiet wird dann das „Geschwätz“ doppelter Staatlichkeit beenden, das Israels Regierungschef Netanjahu schon als „Politik von Gestern“  bezeichnet hat, trotz des gegenteiligen Votums des UN-Sicherheitsrates. Er setzt dabei  auf die Unterstützung von Donald Trump. Das wird die Spannungen erhöhen und die Sicherheitslage und Kriegsgefahr im Nahen Osten verschärfen .

Die nationalistische Großmäuligkeit Trumps, sein  Rassismus und seine Frauenfeindlichkeit werden auch denen Ansporn sein, die in Europa ebenfalls rechtspopulistisch unterwegs sind. Hoffentlich spürt Europa, dass weitere Uneinigkeit den Nationalisten in die Hände spielen, die Union weiter schwächen wird und zerstören könnte.

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Gelernt von CETA

von Prof. Dr. Gesine Schwan

Das Tauziehen mit dem Parlament der Wallonie  um CETA  hat zweierlei gezeigt:

  1. Es wird immer wichtiger einzusehen, dass langfristige politische Abkommen ausführlich und klar öffentlich diskutiert werden müssen, wenn sie eine tragfähige Zustimmung bekommen sollen.
  2. Öffentliche Diskussionen führen keineswegs ins Chaos. Ja: Demokratie ist in einer komplizierten Welt mit vielen unterschiedlichen Interessen nicht einfach zu realisieren. Aber sie ist möglich.

Eine traditionelle Frage der Theorie der Demokratie richtet sich darauf, wie man effektives Regieren mit der Verhinderung von Machtmissbrauch durch checks und balances vereinbaren kann. Wer nicht glaubt, dass Bürgerinnen und Bürger sich verständigen können, wer ihnen gegenüber prinzipiell  misstrauisch ist, plädiert für’s  „Durchregieren“ ohne Hindernisse. Aber damit bekommen wir keine Demokratie zustande. Auch nicht mit einer scheinbaren Effizienz, die Politik ins Hinterzimmer verlegt und dort stillschweigend entscheidet.

Jahrelang ist in der Europäischen Union – nicht zuletzt unter dem Einfluss der deutschen Bundesregierung – Politik als öffentlich möglichst unauffälliges Geschäft betrieben worden, auf „Sichtweite“, zugleich intransparent und nicht kontrollierbar. Das hat sich gerächt: Die Bürger misstrauen der Union gründlich, wie überhaupt zunehmend demokratischer Politik.

Aus dem Umgang mit CETA konnten wir lernen: Es geht auch anders. Sigmar Gabriel hatte Recht, das Abkommen nicht als reine EU-Angelegenheit zu behandeln, sondern die nationalen Parlamente darüber abstimmen zu lassen. Nur so war die Öffentlichkeit herzustellen, die wir für ein nachhaltiges Abkommen, bei dem Für und Wider abgewogen gründlich abgewogen werden müssen , brauchen. In den letzten Tagen der Aufmüpfigkeit der Wallonie konnten wir übrigens bei genauerem Hinschauen erkennen, dass die Probleme der belgischen Region weit über sie hinaus Bedeutung haben, in der EU und sogar in den USA. Dort stammen Trump-Wähler häufig aus wirtschaftlich abgehängten Regionen ohne Perspektive.

Wir müssen Wege finden und mehr Fantasie ebenso wie langfristiges Denken aufbringen, um den unvermeidlichen Strukturwandel der Wirtschaft sozial verträglich zu gestalten. Überall wo Regionen mit heruntergekommenen Industrien sich selbst überlassen bleiben und sich keine Antworten finden, um neue Perspektiven für die Menschen aufzutun, verlieren diese den Glauben an die Demokratie – vordergründig an die europäische, aber im Grunde auch an die nationalstaatliche.

Hier liegt eine zentrale Herausforderung an die nächst Zukunft, in Europa, aber auch in den Nationalstaaten. Die vorläufige Lösung für CETA macht uns Mut.

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Ein politischer Präsident wird gebraucht – Steinmeier soll es richten

von Uwe-Karsten Heye

Die Einsicht, über keinen überzeugenden eigenen Kandidaten zu verfügen, wird Angela Merkel nicht leicht gefallen sein. Und so bleibt es bei der Übung, wenn es ein Problem gibt, das nur schwer lösbar ist: Steinmeier soll es richten. So war es schon im Kanzleramt, da war er für Analyse und Problemlösung zuständig. Eine gute Dekade später bedarf es nun seines Ganzkörpereinsatzes als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten.

Als Siegmar Gabriel mit diesem Vorschlag unabgesprochen nach vorne stürmte, gab es allerlei Getuschel über die Motive, die ihn angetrieben haben könnten. Prompt kam das Nein der Linken und bei den Grünen die Überlegung, mit einem eigenen Kandidaten oder einer Kandidatin in die Wahl zu gehen. Fast könnte man meinen, dass hinter dieser Reaktion Kalkül steckte, um es der Kanzlerin zu erleichtern, den eigenen Mangel an überzeugenden Persönlichkeiten für das höchste Staatsamt zu erkennen und mit dem Ja zu Steinmeier Vernunft walten zu lassen und eine Mehrheit in der Bundesversammlung zu ermöglichen. Dann könnten die beiden kleineren Oppositionsparteien beidrehen und dem Kandidaten ebenfalls ihre Stimmen und damit zusätzlich Gewicht für die Ausfüllung des Amtes in schwierigen Zeiten zu geben.

Damit wäre die Nachfolge des Predigers in Schloss Bellevue aus dem Tagesstreit heraus genommen. Solches Einvernehmen ist in einer Demokratie notwendig selten, in Zeiten wie diesen allerdings hoch Willkommen, zumal sich das Publikum ohnedies keinen besseren Kandidaten vorstellen kann. Das hätte in einer aufgewühlten und von den Rändern, besonders aber vom rechten Rand herausgeforderten Gesellschaft gewiss besondere Bedeutung.

Wer Steinmeier kennt, kann erwarten, dass er mit seiner Wahl, dazu ermutigen wird, dazu beizutragen, die Schwächen, Defizite und Widersprüche im Land beim Namen zu nennen und ihre Überwindung anzumahnen. Diese Aufforderung wäre in unterschiedlichste Richtungen notwendig. Das gilt für die Wirtschaftseliten im besondern Maß. Weder die Weltfinanzkrise, noch die Banken, die dafür wesentliche Verursacher waren, haben davon abgehalten, sich weiter neue Rekordsummen als Boni zu ohnehin üppigen Gehältern zu genehmigen. Besonders kriminell aktiv ist die Deutsche Bank, deren  Absturz vorhersehbar scheint. Ebenso die Automobilindustrie, in Sonderheit der Volkswagenkonzern, der mit Hilfe einer elektronischen Betrugssoftware seine Autos als ökologische  Spitzenprodukte verkaufte.

Die Folgen sind den Konzern-Vorständen, aber auch der Politik offenbar völlig gleichgültig. So auch einer Großen Koalition, die sich 21 Monate lang darüber gestritten hat, ob ein Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts zur Erbschaftssteuer den Gesetzgeber bindet. Schließlich die Einigung auf ein Gesetz, das die Anforderungen des Gerichts so verwässert, dass es sich sich voraussichtlich erneut mit dem Ergebnis beschäftigen wird.  Oder ein Finanzminister, der das Kindergeld um monatlich gerade mal zwei Euro erhöhen will, während die Zahl der Kinder in der Armutsfalle weiter steigend in die Millionen geht.

Kein Wunder, dass sich eine wachsende Zahl der Menschen an Wahlen nicht mehr beteiligt. Ihnen  könnte ein im besten Sinne politischer Präsident eine Stimme geben, die den rechtspopulistischen Trend stoppen und Zuversicht zurück bringt, in die Lösungskompetenz der offenen und demokratischen Gesellschaft und ihrer Spielregeln.