Ohne England wird Europa wieder denkbar

Nach dem Brexit: Uwe-Karsten Heye

von Uwe-Karsten Heye

Man kann es so und so sehen, was da mit der Zustimmung einer knappen, aber ausreichenden Mehrheit in England passiert ist. Zu vermissen wäre eine Mitgliedschaft des Inselvolkes nur, wenn England sich für das gemeinschaftliche Europa eingesetzt hätte. Aber seit Margret Thatchers „I want my money back“ sind immer wiederkehrende Wünsche für eine Sonderrolle von Great Britain in außerordentlich schlechter Erinnerung.

Diese wesentlich aus nationalen Reminiszenzen gewachsene, ausschließlich auf den eigenen wirtschaftlichen Vorteil bedachte Haltung,  hat einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass Rückfälle in nationale Egoismen der übrigen Mitgliedsländer wie ein Virus um sich gegriffen haben. Und auch Berlin muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die nationale Karte vor allem in der Finanzkrise und gegenüber Griechenland ausdauernd, und völlig gnadenlos über denkbare soziale Folgen gespielt zu haben.

Von daher ergibt sich trotz der sozialen und ökonomischen Folgen des Brexits, die wir auch in Deutschland spüren werden, die Chance, die notwendige Vertiefung der Europäischen Union endlich wieder in Angriff zu nehmen. Der Euro bedarf der Absicherung durch eine europäische Wirtschafts- und Steuerpolitik, die Voraussetzung dafür ist, die EU auch zu einer sozialen Union auszubauen. Da wäre Großbritannien mit den erpressten Sonderregelungen ein ständiger Störenfried, der sich sogar das Recht hat, alle Mehrheitsentscheidungen in Brüssel für sich durch ein Nein im britischen Unterhaus zurückweisen zu können..

Nun  wird sich zeigen, ob die Europäische Union endlich wieder zu den Werten zurückkehrt, die in Lissabon aufgeschrieben und seither für verbindlich angesehen werden. Das heißt ja wohl, dass nicht nur gegenüber Polen, sondern mindestens ebenso gegenüber Ungarn klar gemacht werden muss, dass es nicht folgenlos bleibt, wenn demokratische Grundsätze verhöhnt und zurückgestutzt werden.

Der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann macht es sich zu leicht, wenn  er jetzt Brüssel auffordert, sich wieder um die „Alltagssorgen der Bürger“ zu kümmern, die Berlin im Blick auf Griechenland völlig aus den Augen verloren  hatte, ohne dass die SPD dagegen erkennbar interveniert hätte. Die Banken, die die größte Finanzkrise ausgelöst hatten, waren  unter dem europäischen  Rettungsschirm aufgehoben, die Rentner in Griechenland oder Portugal dagegen durften im Regen stehen. Dafür durften sie für eine warme Mahlzeit an einer Tafel Platz nehmen.

Zwei Jahre wird der Abschied aus der EU in Anspruch nehmen, um die Verflechtungen zu lösen, die damit verbunden sind. Das überhaupt ein Austrittsszenario in Lissabon vereinbart wurde, ist ebenfalls den Briten zu danken, die genau diesen Passus in der portugiesischen Hauptstadt durchsetzten. Trau, Schau, wem! Es wird uns also noch Jahre beschäftigen, was David Cameron sich und seinem Land mit dieser Abstimmung eingebrockt hat. Wenn die richtigen Schlussfolgerungen aus dem egozentrischen Abgang Englands aus Europa und  dem Rückfall der Insel in Denkmuster nationaler Übersteigerungen im zwanzigsten Jahrhundert gezogen werden,  dann könnte so etwas wie eine Zukunft für Europa in Sichtweite geraten.

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