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Gelernt von CETA

von Prof. Dr. Gesine Schwan

Das Tauziehen mit dem Parlament der Wallonie  um CETA  hat zweierlei gezeigt:

  1. Es wird immer wichtiger einzusehen, dass langfristige politische Abkommen ausführlich und klar öffentlich diskutiert werden müssen, wenn sie eine tragfähige Zustimmung bekommen sollen.
  2. Öffentliche Diskussionen führen keineswegs ins Chaos. Ja: Demokratie ist in einer komplizierten Welt mit vielen unterschiedlichen Interessen nicht einfach zu realisieren. Aber sie ist möglich.

Eine traditionelle Frage der Theorie der Demokratie richtet sich darauf, wie man effektives Regieren mit der Verhinderung von Machtmissbrauch durch checks und balances vereinbaren kann. Wer nicht glaubt, dass Bürgerinnen und Bürger sich verständigen können, wer ihnen gegenüber prinzipiell  misstrauisch ist, plädiert für’s  „Durchregieren“ ohne Hindernisse. Aber damit bekommen wir keine Demokratie zustande. Auch nicht mit einer scheinbaren Effizienz, die Politik ins Hinterzimmer verlegt und dort stillschweigend entscheidet.

Jahrelang ist in der Europäischen Union – nicht zuletzt unter dem Einfluss der deutschen Bundesregierung – Politik als öffentlich möglichst unauffälliges Geschäft betrieben worden, auf „Sichtweite“, zugleich intransparent und nicht kontrollierbar. Das hat sich gerächt: Die Bürger misstrauen der Union gründlich, wie überhaupt zunehmend demokratischer Politik.

Aus dem Umgang mit CETA konnten wir lernen: Es geht auch anders. Sigmar Gabriel hatte Recht, das Abkommen nicht als reine EU-Angelegenheit zu behandeln, sondern die nationalen Parlamente darüber abstimmen zu lassen. Nur so war die Öffentlichkeit herzustellen, die wir für ein nachhaltiges Abkommen, bei dem Für und Wider abgewogen gründlich abgewogen werden müssen , brauchen. In den letzten Tagen der Aufmüpfigkeit der Wallonie konnten wir übrigens bei genauerem Hinschauen erkennen, dass die Probleme der belgischen Region weit über sie hinaus Bedeutung haben, in der EU und sogar in den USA. Dort stammen Trump-Wähler häufig aus wirtschaftlich abgehängten Regionen ohne Perspektive.

Wir müssen Wege finden und mehr Fantasie ebenso wie langfristiges Denken aufbringen, um den unvermeidlichen Strukturwandel der Wirtschaft sozial verträglich zu gestalten. Überall wo Regionen mit heruntergekommenen Industrien sich selbst überlassen bleiben und sich keine Antworten finden, um neue Perspektiven für die Menschen aufzutun, verlieren diese den Glauben an die Demokratie – vordergründig an die europäische, aber im Grunde auch an die nationalstaatliche.

Hier liegt eine zentrale Herausforderung an die nächst Zukunft, in Europa, aber auch in den Nationalstaaten. Die vorläufige Lösung für CETA macht uns Mut.

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Ein politischer Präsident wird gebraucht – Steinmeier soll es richten

von Uwe-Karsten Heye

Die Einsicht, über keinen überzeugenden eigenen Kandidaten zu verfügen, wird Angela Merkel nicht leicht gefallen sein. Und so bleibt es bei der Übung, wenn es ein Problem gibt, das nur schwer lösbar ist: Steinmeier soll es richten. So war es schon im Kanzleramt, da war er für Analyse und Problemlösung zuständig. Eine gute Dekade später bedarf es nun seines Ganzkörpereinsatzes als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten.

Als Siegmar Gabriel mit diesem Vorschlag unabgesprochen nach vorne stürmte, gab es allerlei Getuschel über die Motive, die ihn angetrieben haben könnten. Prompt kam das Nein der Linken und bei den Grünen die Überlegung, mit einem eigenen Kandidaten oder einer Kandidatin in die Wahl zu gehen. Fast könnte man meinen, dass hinter dieser Reaktion Kalkül steckte, um es der Kanzlerin zu erleichtern, den eigenen Mangel an überzeugenden Persönlichkeiten für das höchste Staatsamt zu erkennen und mit dem Ja zu Steinmeier Vernunft walten zu lassen und eine Mehrheit in der Bundesversammlung zu ermöglichen. Dann könnten die beiden kleineren Oppositionsparteien beidrehen und dem Kandidaten ebenfalls ihre Stimmen und damit zusätzlich Gewicht für die Ausfüllung des Amtes in schwierigen Zeiten zu geben.

Damit wäre die Nachfolge des Predigers in Schloss Bellevue aus dem Tagesstreit heraus genommen. Solches Einvernehmen ist in einer Demokratie notwendig selten, in Zeiten wie diesen allerdings hoch Willkommen, zumal sich das Publikum ohnedies keinen besseren Kandidaten vorstellen kann. Das hätte in einer aufgewühlten und von den Rändern, besonders aber vom rechten Rand herausgeforderten Gesellschaft gewiss besondere Bedeutung.

Wer Steinmeier kennt, kann erwarten, dass er mit seiner Wahl, dazu ermutigen wird, dazu beizutragen, die Schwächen, Defizite und Widersprüche im Land beim Namen zu nennen und ihre Überwindung anzumahnen. Diese Aufforderung wäre in unterschiedlichste Richtungen notwendig. Das gilt für die Wirtschaftseliten im besondern Maß. Weder die Weltfinanzkrise, noch die Banken, die dafür wesentliche Verursacher waren, haben davon abgehalten, sich weiter neue Rekordsummen als Boni zu ohnehin üppigen Gehältern zu genehmigen. Besonders kriminell aktiv ist die Deutsche Bank, deren  Absturz vorhersehbar scheint. Ebenso die Automobilindustrie, in Sonderheit der Volkswagenkonzern, der mit Hilfe einer elektronischen Betrugssoftware seine Autos als ökologische  Spitzenprodukte verkaufte.

Die Folgen sind den Konzern-Vorständen, aber auch der Politik offenbar völlig gleichgültig. So auch einer Großen Koalition, die sich 21 Monate lang darüber gestritten hat, ob ein Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts zur Erbschaftssteuer den Gesetzgeber bindet. Schließlich die Einigung auf ein Gesetz, das die Anforderungen des Gerichts so verwässert, dass es sich sich voraussichtlich erneut mit dem Ergebnis beschäftigen wird.  Oder ein Finanzminister, der das Kindergeld um monatlich gerade mal zwei Euro erhöhen will, während die Zahl der Kinder in der Armutsfalle weiter steigend in die Millionen geht.

Kein Wunder, dass sich eine wachsende Zahl der Menschen an Wahlen nicht mehr beteiligt. Ihnen  könnte ein im besten Sinne politischer Präsident eine Stimme geben, die den rechtspopulistischen Trend stoppen und Zuversicht zurück bringt, in die Lösungskompetenz der offenen und demokratischen Gesellschaft und ihrer Spielregeln.

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Europa geht auch solidarisch

Europa geht auch solidarisch

von Klaus Busch und Dr. Axel Troost

Die in Europa um sich greifenden Re-Nationalisierungstendenzen sind aus politischen, ökonomischen und sozialen Gründen verhängnisvoll. Die Linke muss sich den Zerstörern der Europäischen Union in den Weg stellen.

Die Europäische Union (EU) ist schwer angeschlagen. Sie hat bis heute die nach der großen Finanzkrise einsetzende Eurokrise nicht überwunden. In der Flüchtlingskrise zeigt sie sich hilflos. Gegen die Nationalstaaten gelingt es ihr nicht, eine gemeinsame Migrationspolitik durchzusetzen. Die Austeritätspolitik war das falsche Mittel, um die Eurokrise zu bewältigen. Sie hat die ökonomischen und sozialen Ungleichgewichte in der Eurozone verschärft.

Die hoffnungsvollen Reformvorschläge der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2011 („Blaupause“) zur Überwindung der Defizite der Maastrichter Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion sind versandet. Die im Juncker-Report von den fünf Präsidenten im Jahre 2015 vorgeschlagenen „Reförmchen“ sind nicht geeignet, die gravierenden Ungleichgewichte in der Eurozone zu korrigieren. Vor dem Hintergrund dieser ungelösten Probleme der EU werden die rechtspopulistischen Rufe nach einer Rückkehr zum Nationalstaat lauter, und auch in der europäischen Linken wird über die Auflösung der Eurozone und die Rückkehr zu nationalen Währungen gestritten. Das Brexit-Votum in Großbritannien zeigt, dass der europäische Einigungsprozess nicht unumkehrbar ist.

In unserer VSA-Flugschrift „Europa geht auch solidarisch – Streitschrift für eine andere EU“ stellen wir uns diesem Trend entgegen. Wir kritisieren sehr ausführlich die Eurexit-Position, also die Abkehr von der gemeinsamen Währung, und fordern sechs radikale Reformschritte, deren Umsetzung die Eurozone und auch die EU stabilisieren würden.
Im Gegensatz zu den Eurexit-Forderungen machen wir deutlich, dass das Europäische Währungssystem (EWS), welches vor der Einführung des Euro ein System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse bildete, in keiner Weise als Vorbild betrachtet werden kann. Die Wechselkurse waren wegen verspäteter Anpassungen stark verzerrt, führten zu Ungleichgewichten im Außenhandel und luden die Finanzspekulation zu Attacken ein. Wegen dieser Verwerfungen ist das System schließlich faktisch zusammengebrochen.

Die Abkehr vom Euro gerade in den Staaten, die eine hohe Staatsverschuldung und große Leistungsbilanzdefizite aufweisen, würde eine massive Krise auslösen. Aufgrund der Abwertungen würden die Staatsschulden in nationaler Währung anwachsen und diesen Staaten steigende Schuldendienstleistungen bescheren. Gleichzeitig würden die Finanzmärkte höhere Zinsen für die Staatsanleihen verlangen. Der zu erwartende starke Zinsanstieg und die steigenden Schuldendienstlasten würden diese Staaten zu einer harten Sparpolitik zwingen, gleichgültig, ob sie links oder rechts regiert werden. In den aufwertenden Staaten wie Deutschland würde ebenfalls in einer Anpassungsphase eine Wachstums- und Beschäftigungskrise einsetzen. Die Wirtschaftskrise, welche die gesamte EU erfasste, würde protektionistische Maßnahmen und eine Abkehr vom Binnenmarkt auf den Plan rufen. Die EU geriete in eine massive Existenzkrise.

Vor dem Hintergrund dieser negativen Perspektiven einer Aufgabe der gemeinsamen Währung fordern wir sechs Radikalreformen, die den Euro und die EU dauerhaft stabilisieren würden. 1. statt Austeritätspolitik eine expansive, nachhaltige Wirtschaftspolitik, 2. eine Ausgleichsunion, die effektive Maßnahmen zur Überwindung der großen Leistungsbilanzungleichgewichte ergreift, 3. eine gemeinsame Schuldenpolitik, die durch Eurobonds und einen Tilgungsfonds zum Abbau der Staatsschulden beiträgt, 4. eine Sozialunion, die Indikatoren und Instrumente für eine gemeinsame Beschäftigungspolitik, eine gemeinsame Lohn- und Einkommenspolitik und eine gemeinsame Politik der sozialen Sicherungssysteme zum Inhalt hat, 5. eine Politik der harten Regulierung der Finanzmärkte, welche Spekulationsblasen an den Aktien-, Anleihe- und Immobilienmärkten die Luft abschnürt, und 6. eine demokratisch gewählte und kontrollierte europäische Wirtschaftsregierung, welche die Währungsunion durch eine gemeinsame Fiskalpolitik komplettiert.
Die in Europa um sich greifenden Re-Nationalisierungstendenzen sind aus politischen, ökonomischen und sozialen Gründen verhängnisvoll. Der Nationalstaat hat bereits im 19. Jahrhundert seine Janusköpfigkeit gezeigt. Er war einerseits Vehikel für die Demokratiebewegungen, hat aber andererseits schon sehr früh seine expansionistischen und imperialistischen Züge offenbart (Napoleons Eroberungskriege, Bismarcks Einigungskriege, Kolonialismus und Imperialismus).

Heute ist der Nationalstaat nicht in der Lage, die globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Klimawandels, der Migrationsbewegungen und des Terrorismus zu bewältigen. Die Welt braucht weniger Nationalstaat und mehr internationale Kooperation sowie internationale Organisationen, wie die EU, um diese Aufgaben zu bewältigen. Statt sich ins Fahrwasser der Re-Nationalisierung zu begeben, muss die Linke für den Erhalt des europäischen Einigungswerks kämpfen und sich den neoliberalen und den rechtspopulistischen Zerstörern Europas in den Weg stellen!

Klaus Busch / Axel Troost /Gesine Schwan / Frank Bsirske /Joachim Bischoff /Mechthild Schrooten / Harald Wolf
Europa geht auch solidarisch! Streitschrift für eine andere Europäische Union
88 Seiten, November 2016, EUR 7.50, ISBN 978-3-89965-745-6

Bestellbar im VSA Verlag unter  http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/europa-geht-auch-solidarisch

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Der Nobelpreis für Literatur erinnert an ein besseres Amerika

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von Uwe-Karsten Heye

Diese Norweger haben es geschafft, mit der Preisverleihung an Bob Dylan an einen Amerikaner zu erinnern, der dazu beitrug, gegen den hässlichen, von Kriegsverbrechen gezeichneten Vietnamkrieg mit seinen poetischen Liedern Kräfte zu mobilisieren, die in Indochina den längsten Krieg der Neuzeit nach 15 Jahren beenden halfen. Er war der Poet einer Generation, die – jedenfalls auf Zeit – das Beste erkennbar machte, was diesem Land verfügbar war: eine widerständige junge Generation, die weltweit ein Vorbild war, und den Generälen die Gefolgschaft verweigerte. „Make love not war“ wies den Weg aus der Sackgasse der verlorenen Ehre der USA. Sie hatten tonnenweise die chemische Waffe Agent Orange auf Vietnam regnen lassen.

Es war die Macht des gesungenen Wortes – „times are changing“, die den Gezeitenwechsel einer auf das Militärische reduzierten Außenpolitik des Henry Kissinger in Gang brachte und den Sturz des Präsidenten Richard Nixon über Watergate beflügelte. Bob Dilan, der Song-Poet, der Lyrik in Noten setzt und zeigte, wie viel Kraft sich aus künstlerischer Transformation entwickeln kann.

Die Begeisterung, die der Nobelpreis für Bob Dylan nicht nur in Europa ausgelöst hat, kommt zu einer Zeit, da die USA erneut an einer Bruchlinie stehen, die von Donald Trump gezogen wird. Er ist der schäbige Vertreter eines entfesselten Kapitalismus`, der wie der Ziehvater der kleinkriminellen Anführer der „europäischen Patrioten“ in Dresden wirkt. Die dem christlichen Abendland nachweinenden Montagsmaler des Untergangs finden sich aber derzeit an vielen Orten der Welt. Auch in Europa.

Gott bewahre uns davor, dass diese Geisteshaltung auch noch das waffentechnisch bestgerüstete Land der Welt unter seine Fuchtel nehmen kann. Dagegen steht ein Amerika, das es immer wieder geschafft hat, nicht vollends aus der Kurve getragen zu werden. Bob Dylans wunderbare Lyrik, seine aufmerksamen Texte und seine bis in das fünfundsiebzigste Lebensjahr reichende kritische Haltung gegenüber falschen Tönen haben ihm zu vielen Preisen verholfen, Grammies und den Oskar und jetzt den Nobelpreis.

Die Weisheit der norwegischen Jury für den diesjährigen Nobelpreis für Literatur ist geradezu preiswürdig. Sie wird sich begnügen müssen und können mit dem weltweiten Beifall für eine Entscheidung, die ermutigt daran zu glauben, dass der blaue Planet trotz der ihn immer wieder gefährdenden Menschheit überleben wird.

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Zerrissenes Großbritannien – Neubeginn in der EU?

Zerrissenes Großbritannien – Neubeginn in der EU?

von Dr. Axel Troost

Der Ausstieg Großbritannien aus der EU ist eine Zäsur. 52% der Abstimmenden schicken Großbritannien und die verbleibende EU in einen komplizierten politischen und ökonomischen Umbauprozess.

Die Landesteile des vereinigten Königsreiches haben z.T. unterschiedliche Mehrheiten. Für Schottland und Nordirland, die sich mehrheitlich für den Verbleib in der EU ausgesprochen haben, wird die weitere Entwicklung besonders kompliziert. Das Ergebnis des Referendums zeigt, dass die britische Gesellschaft mehrfach tief gespalten ist. Großbritannien steht als Vereinigtes Königreich und als Gesellschaft vor einer Zerreißprobe.

Seit langem hatte sich in Großbritannien ein tief sitzendes Unbehagen über die EU-Mitgliedschaft aufgebaut. Mit der Entscheidung, die Bürger bis spätestens 2017 über die EU-Mitgliedschaft abstimmen zu lassen, wollte Cameron die Europa-Skeptiker isolieren. Das ist ihm nicht gelungen. Nun hat er seinen Rücktritt für Oktober angekündigt. Gewinner des Referendums ist die rechtspopulistische UKIP. In allen Regionen, von fast allen Altersgruppen und sozialen Schichten und nicht mehr nur von den WählerInnen der Rechtspopulisten, sondern auch der konservativen Partei ist die Frage der Zuwanderung zum zentralen Entscheidungskriterium geworden.

Auch die Labourparty steht vor einer neuen Belastungsprobe. In den traditionellen Labour Hochburgen hat eine Mehrheit für den Austritt gestimmt. Unter der Führung Jeremy Corbyns hatte Labour die Kampagne „Bleiben und verändern“ gemeinsam mit dem Gewerkschaftsbund TUC gestartet. Auch hier wird ein Neuanfang unvermeidlich.

Im hohen Stimmanteil der europaskeptischen Briten widerspiegeln sich Besorgnisse, die auch in vielen anderen EU-Mitgliedsländern vorhanden sind. Teile der politischen Klasse, die für die Gestalt des aktuellen Europas als Elitenprojekt verantwortlich sind, sind damit konfroniert, dass ein „Weiter so“ nicht mehr funktioniert. Welche Veränderungen her müssen, wird die zentrale Debatte um die europäische Zukunft sein und ich werde darauf drängen, dass sich die LINKE intensiv daran beteiligt in Sinne des „Bleiben und Erneuern“. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass ein auf Europa ausgerichtetes soziales Reformkonzept zu einem Hauptthema linker Politik wird.

Ich bin skeptisch, ob die überwiegend von konservativen und sozialdemokratischen Parteien dominierten europäischen Regierungen wirklich einen europapolitischen Kurswechsel in Angriff nehmen und tatsächlich die Korrektur der Fehlentwicklungen einer langen Austeritätspolitik einleiten werden. Die politische Linke in den verbliebenen 27 Mitgliedsstaaten ist zersplittert und schwach. Gleichwohl müssen wir unsere Vorstellungen für ein soziales und demokratisches Europa stärker in die Debatte hineintragen.

Für eine Reform der EU

Um die großen Leistungsbilanzungleichgewichte in der Euro-Zone endlich zu überwinden, schlage ich die Ablösung des Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU durch eine „Europäische Ausgleichsunion“ vor. Parallel dazu brauchen wir neue Instrumente für die (Re-)Finanzierung der öffentlichen Haushalte, um sie dem Diktat privater Investorenentscheidungen zu entreißen. Die soziale Dimension der EU muss ausgebaut werden. Eine Neugewichtung und -verteilung der EU-Mittel kann dazu beitragen, das EU-Wachstum anzukurbeln und würde nebenbei den sozialen, territorialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt in Europa stärken, anstatt ihn über Sparpolitik und Sozialkürzungen weiter auseinanderdriften zu lassen. Letzteres bereitet den Nährboden für weitere politische Spannungen und lässt den Rechtspopulismus noch stärker zunehmen.

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It’s the emotion – stupid! – Europakommunukation geht anders

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Dieser Text erschien zuerst auf dem „Blog der Republik“

Die Flüchtlingskatastrophe, wachsender Zulauf für rechtspopulistische Bewegungen, rechtsnationale Politik in Ungarn oder Polen, die TTIP/CETA-Debatte oder auch die Brexit- Entscheidung der Briten: Verunsicherung und Angst sind die Teile einer gefährliche Mischung in der europäischen Debatte. In den EU-Mitgliedsländern wächst die Skepsis gegenüber dem Projekt Europa. Das Pew-Research-Center, Washington D.C., hat jüngst in einer Umfrage in zehn EU-Staaten ein deutliches Tief bei der Zustimmung zu den EU-Institutionen festgestellt. Das Resultat des letzten Eurobarometer, der regelmäßige Meinungsumfrage der EU-Kommission in allen Mitgliedsländern, muss insbesondere die deutsche Politik aufhorchen lassen: danach hat das Image der Europäischen Union in fast keinem anderen Land mehr gelitten, als in Deutschland. Alarmierende Ergebnisse, die sich aber schon weit vor Flüchtlingskatastrophe oder Ukrainekonflikt abgezeichnet haben.

Weil es so einfach ist: Die EU ist`s schuld!

Denn neben den aktuellen politischen Ereignissen hat sich Europa für viele Menschen in der Vergangenheit kaum so vermittelt, dass sich daraus Nähe, Orientierung und Zuversicht entwickeln konnte. Im Gegenteil. Die Europäischen Institutionen schienen sich immer weiter „vom wirklichen Leben“ weg zu entwickeln. Das Gefühl der Europa-Skepsis wurde nicht nur von den Rechtspopulisten in Europa oder in der Brexit-Kampagne in Großbritannien verstärkt. Auch in Deutschland haben PolitikerInnen aller Parteien diese Skepsis immer wieder bedient. So fehlte im letzten Europa-Wahlkampf bei keiner Partei in den Wahlkampfreden eine Passage zur Kritik am „Bevormundungseuropa“, verbunden mit einer Tirade gegen Glühbirnen oder den Krümmungsgrad der Salatgurken. Gleichzeitig fordern aber eben diese PolitikerInnen, dass in der Kommunikation über das gemeinsame Europa die Werte, das emotionale Band des vereinten Europas, wieder deutlich herausgestellt werden. Kommunikation über Europa, das sollte wieder mehr sein, als allein über den Euro, die Wirtschaft und die Märkte.

Aber es gelingt den politischen Akteuren und ihren Institutionen nicht, das Europa-Projekt den EuropäerInnen so zu vermitteln, das daraus Sicherheit und Zustimmung erwächst. Denn dafür müssten die politischen Akteure nicht nur gebetsmühlenartig von mehr Demokratie, mehr Bürgernähe oder mehr Zusammenarbeit reden, sondern sie tatsächlich auch politisch umsetzen. Begleitet von einer transparenten Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit würden wichtige Grundlagen dafür gelegt, dass der Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union reduziert würde.

Jean-Claude Junckers CETA-Debakel

Die Praxis zeigt, wie weit wir aber in der Europa-Kommunikation tatsächlich noch davon entfernt sind. Kurz nach der Brexit-Entscheidung teilte EU-Kommissionspräsident Juncker mit, dass man das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada als „reines EU-Abkommen“ betrachte. Die Folge: nur die EU-Institutionen würden über dieses geheim verhandelte und höchst umstrittene Freihandelsabkommen befinden. Die nationalen Parlamente wären damit außen vor. Die Öffentlichkeit verstand dies zu Recht nicht als Signal aus Brüssel, dass mehr Demokratie und Zusammenarbeit bedeutete. Die deutsche und die französische Regierung haben deshalb auf einer Beteiligung der nationalen Parlamente bestanden. Die EU-Kommission schaffte letztendlich die Kehrtwende, nationale Parlamente entscheiden nun doch mit, aber der Vertrauensschaden war bereits eingetreten.

Die kommunikative Lehre aus dem Brexit

Eine der europapolitischen Lehren aus dem Brexit-Votum der Briten: Europa muss demokratischer werden und seine Bürgerinnen und Bürger viel unmittelbarer und dialogorientierter in die Entscheidungen und die Gestaltung einbeziehen. Für die Europa-Kommunikation bedeutet das: eine glaubwürdige und authentische Europa-„Geschichte“ muss diese Politik begleiten. Dazu zählt, ein Europa das sich als Werte- und Friedensgemeinschaft versteht. Eine Gemeinschaft deren Mitgliedsländer zusammenstehen und deren Vertiefung sich über ein europäisches Bewusstsein und nicht die in erster Linie über Wirtschaftswachstum und Märkte definiert. Hier gilt, wie auch sonst in der politischen Kommunikation, dass die Europa-Erzählung nur gemeinsam mit der europäischen Politik Wirkung entfalten kann. Ein Verständnis für Europa entwickelt sich erst dann, wenn wir Europa in unserem Alltag unmittelbar erfahren. Dazu gehört auch, welchen unmittelbaren Nutzen man ganz persönlich aus Europa hat. Nur wenn Europa so für jeden sichtbar wird, entwickelt sich Vertrauen, Orientierung und ein Verständnis für ein gemeinsames Europa.

Emotion und Information

Information über Daten und Fakten zu Europa gibt es ausreichend auf jedem Kanal, in jeder Form. Ob sie die Menschen wirklich erreicht, darf man – auch angesichts der Umfrageergebnisse – getrost bezweifeln. Eine Kommunikation, die auch auf Emotionen setzt und darüber auch die Bedeutung Europas für jeden einzelnen Europäer deutlich macht, stellt sich bewusst gegen die Ängste, die aktuell das Europa-Bild bestimmen. Wer jetzt in der Kommunikation ein romantisch, verklärtes Europabild erwartet, ist auf dem Holzweg: gemeinsame Werte führen zu ganz konkreten, pragmatischen Themen und Entscheidungen, die auch die Vorteile für jeden einzelnen erkennbar machen: von der Reise- oder Niederlassungsfreiheit, der IT-Sicherheit oder der Abschaffung der Roaming-Gebühren. Das sind Erfolge, aus denen sich neue Perspektiven für ein Zusammenleben in Europa entwickeln lassen.

Wie die Verbindung von Information und Emotion beim Europathema funktioniert, hat gerade die Deutsche Telekom bewiesen. Zwar wäre es ein Irrtum, jetzt zu glauben, dass sich Markenkommunikation einfach auf politische Kommunikation übertragen ließe. Im TV-Spot mit dem italienischen Sänger Andrea Bocelli zeigen die Telekom-Werber in ihrer europaweiten Kampagne aber eine Richtung, die auch im politischen Europa verstanden würde: „Was uns verbindet kann man nicht sehen – aber man kann es fühlen“.

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Brexit, wackelnde Finanzmärkte – und wie weiter?

Schick_BrexitNach dem Austrittsvotum der Briten und dem Rückzug der Brexit-Anführer herrscht Unklarheit über die weitere Entwicklung. Das ist sichtbar am Kursverfall des britischen Pfund, der europäischen Banken und dem Schließen britischer Immobilienfonds. Schon fordert ein Vertreter der Deutschen Bank ein neues, 150 Milliarden Euro schweres Bankenrettungsprogramm. Doch die Unsicherheit ist nicht nur auf die Finanzmärkte beschränkt. Nationalistisches Denken ist zurückgekehrt nach Europa, Rechtspopulisten treiben viele Länder in gefährliche Irrwege, die politische Auseinandersetzung ist mit sprachlicher und – wie leider tragischerweise bei Jo Cox – sogar tödlicher Gewalt verbunden. Was ist nur los? Was können wir tun?

Eine Protestwahl – und was wir daraus lernen können

David Cameron machte mit diesem Referendum auf unverantwortliche Weise seine innerparteilichen Probleme zu einem Problem von ganz Europa. Auch die Medien spielten eine schwierige Rolle. Die Abstimmungsergebnisse vom 23. Juni zeigen, dass ein Riss durch die britische Gesellschaft geht: jüngere Menschen stimmten mit großer Mehrheit für den Verbleib, ältere dagegen. Gut sichtbar war auch die geographische Teilung: Vor allem Bürger*innen in den früheren Industrieregionen in der Mitte und im Norden des Landes stimmten für den Brexit, während London, Schottland und Nordirland mehrheitlich in der EU bleiben wollen. Eine dritte Dimension dieses Risses wurde oft nicht genannt, weil diese Diagnose unangenehmer ist: Menschen mit geringen Einkommen, Ältere und Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss – also die Verlierer*innen von Globalisierung und Digitalisierung – stimmten mehrheitlich gegen den Verbleib in der EU. Dazu passt auch, dass das Thema Immigration eine große Rolle in der Debatte spielte. Diejenigen, die sich als Verlierer wahrnehmen, haben traditionell am meisten Vorbehalte gegen Migrant*innen.

Ich bin überzeugt, dass diese Ergebnisse eine klare Botschaft beinhalten: Europa wird nur zusammenhalten, wenn die Gesellschaft zusammenhält. Wer sich wie wir Grünen für eine freiheitliche europäische Gesellschaft engagieren will, muss sich mit diesem dreifachen Riss beschäftigen: dem geographischen, altersmäßigen und dem sozialen Riss. Hier entsteht eine neue „soziale Frage“, die zu ignorieren gefährlich und die mit der Verteilungsfrage der 70er Jahre gleichzusetzen falsch wäre. Natürlich hat diese „soziale Frage“ eine ökonomische Dimension in der großen Vermögensungleichheit, in einer Unzufriedenheit mit einer abgehobenen Elite. Aber sie hat eben auch eine geographische Dimension. Und offensichtlich ist das Gefühl des Abgehängtseins, der Wunsch nach einer Rückkehr in die homogenere, geschlossener Gesellschaft der 50er Jahre stärker bei den älteren Menschen verankert, die für sich die Vor- und Nachteile der Digitalisierung und Globalisierung anders wahrnehmen als die Mehrheit der Jüngeren.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass nun ausgerechnet die Finanzbranche vor den Gefahren der wachsenden Ungleichheit warnt. Die Bank of America z.B. stellt fest, dass die Kluft zwischen Arm und Reich zu groß geworden ist und dies zu weiteren politischen Verwerfungen führen könnte: „Der Brexit ist die Antwort der Wähler auf das Zeitalter der Ungleichheit“. Das Votum zeige, dass von der wirtschaftlichen Erholung der vergangenen Jahre offenbar nur ein Teil der Bevölkerung profitiert hat. Die Lebensverhältnisse von rund 11 Millionen Haushalten – das entspricht etwa der Hälfte der Arbeitsbevölkerung in Großbritannien – sind seit dem Jahr 2002 bestenfalls stagniert oder gesunken. Als Hauptgrund werden geringe bis gar keine Lohnzuwächse bei zugleich deutlich gestiegenen Wohnkosten genannt.

Zwar negieren viele für Deutschland, dass es eine Polarisierung bei den Einkommen gegeben habe. Doch sind die Personalkosten von 17 DAX-Unternehmen zwischen 1987 und 2006 um ca. 90% gestiegen, während die Vorstandsbezüge um über 500% kletterten. Vermögen sind in Deutschland noch viel ungleicher verteilt als Einkommen. Und beim Thema Migration unterscheiden sich die Meinungen auch in Deutschland entlang regionaler, sozio-ökonomischer und Alters-Kriterien. Ein Teil der Antwort auf die jüngsten Entwicklungen in Europa muss eine glaubwürdige Politik für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft sein.

Wirtschaftliche Probleme – und wie wir sie lösen können

Die Reaktion der Märkte auf den Brexit kam prompt. Überall brachen die Börsenkurse ein, das Pfund steht zum Dollar so niedrig wie schon seit über 30 Jahren nicht mehr. Die Sorge ist, dass der Brexit der britischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen wird. Aber auch andernorts in Europa schrillten die Alarmglocken. Den italienischen Banksektor traf es besonders hart. Dort führte eine langanhaltende Rezession zum Auflaufen riesiger Berge an notleidender Kredite auf den Bankbilanzen. Der Brexit-Schock ließ italienische Bankaktien seither um über 30% einbrechen. Die EU musste bereits einen Garantierahmen in Höhe von 150 Milliarden Euro für italienische Banken genehmigen. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank fordert zusätzlich Kapitalhilfen von 150 Milliarden Euro Steuergeld für eine Stabilisierung der europäischen Banken. Das wäre ein Bruch mit den neuen Bankenregeln, die genau solche Staatshilfen verbieten. Damit wird als Reaktion auf die Probleme des Bankensektors genau das vorgeschlagen, was schon seit 2008 gemacht wurde: Bankschulden auf den Staatssektor übertragen. Diesen Fehler dürfen wir nicht noch einmal machen!

Das Gegenteil von alldem ist nötig: Wir sollten die Grundlage für die Schwierigkeit der Banken angehen. Und das ist bei den italienischen Banken eindeutig die seit Jahren andauernde Wirtschaftskrise. Sie verursacht, dass Haushalte und Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen können und diese „faule Kredite“ werden. Deswegen braucht es einen Kurswechsel für mehr reale Investitionen.

Die europäischen Banken haben in den letzten Jahren ihre Kapitalbasis nicht genug gestärkt, sondern  Milliarden an Gewinnen ausgeschüttet. Jetzt fehlen diese Milliarden und es wird wieder nach dem Steuerzahler gerufen. Das Gegenteil ist nötig: Es braucht eine Politik, die Banken dazu zwingt, in guten Zeiten Kapital anzusparen, damit für schlechte Zeiten vorgesorgt ist. Deswegen haben wir Grünen seit Jahren eine Schuldenbremse für Banken gefordert. Und in schlechten Zeiten müssen die Aktionäre und Gläubiger herangezogen werden, um Verluste zu tragen, wenn der Kapitalpuffer nicht reicht.

Man kann Europa nur zusammenhalten, wenn man die Gesellschaft zusammenhält. Deshalb darf es keine Fortsetzung der Politik der vergangenen Jahre geben, die Banken schont, Zukunftsinvestitionen vernachlässigt und eine Spaltung der Gesellschaft zulässt. Es gilt jetzt, den sozialen Zusammenhalt der europäischen Bürgerschaft zu stärken, in jedem Mitgliedstaat und in Europa insgesamt. Das gelingt zum Beispiel durch eine Wende zu fairer Steuerpolitik, die Superreiche stärker besteuert und Privilegien für große Konzerne abbaut. Und Europa muss endlich den Weg aus der Krise finden. Denn anders als die USA ist Europa immer noch fest im Griff der Finanzkrise, die 2007 ausgebrochen ist.  Dafür braucht es einen Green New Deal – eine Strategie für mehr staatliche und private Investitionen in Bildung, Integration von Flüchtlingen und in den ökologischen Umbau unserer Wirtschaft.

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Kommentar zur Wahl in Spanien

Wolf_SpanienAuch nach den Wahlen vom 26. Juni existiert in Spanien ein politisches Patt. Die Neuwahlen haben keine grundsätzlich veränderte Konstellation gegenüber dem Wahlergebnis vom Dezember des letzten Jahres hervorgebracht. Zwar konnte die konservative Partido Popular (PP) des amtierenden Ministerpräsidenten Rajoy ihren Stimmenanteil erhöhen, allerdings überwiegend auf Kosten der liberalen Ciuadadonos. Unidos Podemos, das Bündnis der aus der Bewegung der „Indignados“ hervorgegangenen Podemos und der Izquierda Unida  verfehlte ihr Ziel zweitstärkste politische Partei vor der sozialdemokratischen PSOE zu werden deutlich.  Zwar konnte sie ihr prozentuales Ergebnis vom Dezember im Wesentlichen halten, verlor aber insgesamt 1,2 Millionen Stimmen gegenüber den Wahlen vom Dezember. Obwohl noch immer zweitstärkste Partei verlor die PSOE fünf Sitze und erzielte ihr schlechtestes Ergebnis der jüngeren Geschichte.

Mit diesem Wahlergebnis befindet sich Spanien in einer politischen Krise. Die durch Korruptionsskandale diskreditierte PP wird es schwer haben einen Koalitionspartner  zu finden. Der Vorsitzende der PSOE, Pedro Sanchez, machte rasch klar, dass er nicht mit Rajoy koalieren werde und ihm auch nicht durch eine Enthaltung die Bildung einer Minderheitsregierung ermöglichen werde. Denkbar wäre zwar eine Mehrheitsbildung aus PSOE und Unidos Podemos mit Unterstützung linksnationalisitischer Abgeordneter aus Katalonien – dies ist jedoch unwahrscheinlich. Die Wahrung der Einheit des spanischen Staates ist für die PSOE nicht verhandelbar und ein Zusammengehen mit nationalistischen Parteien kaum denkbar – das machte der immer noch sehr einflussreiche ehemalige Ministerpräsident Felipe Gonzalez deutlich. Wie auch immer die jetzt beginnenden Sondierungsgespräche über eine Regierungsbildung bringen werden, eines scheint sicher: Spanien geht einer Phase großer politischer Instabilität entgegen.

Gleichzeitig befindet sich Spanien nach wie vor in einer tiefen Wirtschaftskrise. Zwar  hält Wolfgang Schäuble Spanien für ein Beispiel gelungener Krisenbekämpfung unter der Aufsicht der Troika aus EZB, IWF und Eurogruppe. Die Fakten sprechen jedoch eine andere Sprache: Dass Spanien 2015 ein Wachstum von 3,2 Prozent verzeichnen konnte scheint Schäuble  auf den ersten Blick zu bestätigen. Aber ein genauerer Blick zeigt eine nach wie vor dramatische wirtschaftliche und soziale Situation: Spaniens BIP liegt noch immer unterhalb des Vorkrisenniveaus .Die Industrieproduktion brach in der Krise um ca. 40 Prozent ein. Die Arbeitslosigkeit ist mit mehr als 20 Prozent die zweithöchste in Europa nach Griechenland ist und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 50 Prozent. Die schlecht bezahlten, ungesicherten Arbeitsverhältnisse haben sprunghaft zugenommen. Sie stellte die spanische Statistikbehörde fest, dass drei von vier neu geschaffenen Arbeitsverhältnissen befristet sind. Die zeitlich befristete Beschäftigung – häufig über nur wenige Wochen oder Monate – macht bereits  als 25 Prozent aller Arbeitsverhältnisse in Spanien aus. Auch das von der Regierung Rajoy im Wahlkampf als Erfolg verkaufte Sinken der Arbeitslosigkeit entpuppt sich bei näherem Hinsehen als bloßer statistischer Effekt. Denn das Sinken der registrierten Arbeitslosigkeit korrespondiert nicht mit einem Anwachsen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten: diese hat sich seit dem Amtsantritt der Rajoys sogar verringert. Hinter dem Rückgang der Zahl der registrierten Arbeitslosigkeit verbirgt sich eine Abwanderung  zum einen von Ausländern, die einst als Arbeitsmigranten  nach Spanien kamen und nun in anderen Ländern Beschäftigung suchen. Zum anderen haben viele junge Spanier das Land auf der Suche nach Arbeit verlassen. Gleichzeitig ist ein Anwachsen der Schattenwirtschaft zu verzeichnen.

Dass Spaniens Wirtschaftsleistung 2015 gewachsen ist  und nach allen Prognosen auch 2016 wieder wächst, hat einen einfachen Grund: nach einem massiven Abbau des Staatsdefizits in 2013 fanden seit 2014 keine massiven Einschnitte mehr statt. Sogar die öffentlichen Investitionsausgaben stiegen wieder leicht an. Gleichzeitig wuchs das Staatsdefizitwieder: Nach der Frühjahrsprognose der Kommission hatte Spanien das Jahr 2015 mit einem Defizit von 5,1 Prozent abgeschlossen und gilt damit nach Griechenland als der zweitgrößte „Defizitsünder“. Nach Auffassung der EU-Kommission müsste Spanien sein Defizit auf 2,8 Prozent zurückfahren, allerdings hatte die Kommission angesichts der bevorstehenden Wahlen eine Entscheidung im Defizitverfahren und die Verhängung möglicher Strafgelder angesichts der anstehenden Neuwahlen in den Juli vertagt. Aber die Empfehlung der Kommision ist klar: „eine dauerhafte Korrektur des übermäßigen Defizits 2016 beziehungsweise 2017“, „notwendige Strukturmaßnahmen“ und die Nutzung aller Budgetgewinne für die Schuldenreduzierung. Sollte dies umgesetzt werden, würde die so  und so schon auf tönernen Füßen stehende wirtschaftliche Belebung wieder abgewürgt werden. Ein  neuer Schub von Europa verordneter Austerität hätte nicht nur gravierende wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, sondern wäre ein weiterer Schritt zur Desintegration Europas.

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„Ein Kerneuropa wäre gefährlich“ – Gesine Schwan fürchtet deutsche Übermacht (Freie Presse)