Nach dem BREXIT: Vertiefung oder Versandung Europas?
von Prof. Dr. Gustav A. Horn
Nun, da der BREXIT Realität wird, ist es höchste Zeit für eine Debatte, wie mit der wachsenden Skepsis gegenüber der europäischen Integration in ganz Europa umzugehen ist. Derzeit wirken die großen deutschen Parteien angesichts der fundamentalen Krise Europas gelähmt, apathisch oder resignativ. Die politische Klasse der ökonomisch stärksten Volkswirtschaft Europas hat kein Konzept für Europa und nimmt so dessen Zerfall billigend in Kauf.
Notwendig wäre aber tatsächlich in dieser kritischen Phase eine deutlich aktivere Rolle Deutschlands im Hinblick auf die Gestaltung des künftigen Euroraums. Die Defizite der bisherigen Politik sind so gravierend, dass die Existenz sowohl der EU als auch insbesondere des Euroraums gefährdet ist. Deshalb kommt ein simples Festhalten am Status quo wie es in den großen deutschen Parteien bevorzugt wird, letztlich der Aufgabe Europas gleich. Der europäische Weg würde versanden und unbegehbar werden.
Ein Reformkonzept müsste vor allem anderen die Demokratisierung Europas anstreben. Denn es hat sich als gefährliche Illusion erwiesen allein auf die demokratische Legitimation der Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten zu vertrauen. Die Fiktion war, dass die Summe der nationalen Legitimationen eine europäische ergäbe. Das ist falsch. Schon aus ökonomischer Sicht bedarf der europäischer Binnenmarkt wie auch der Euroraum einer originär europäischen wirtschaftspolitischen Legitimation. So erscheinen aus nationaler Sicht Steuerprivilegien, lasche Regulierungen und beschränkte wirtschaftliche Haftungen rational. Aus europäischer Sicht sind sie stabilitätsgefährdend, da sie letztlich ein Trittbrettfahrerverhalten und Unsicherheiten erzeugen. Kompromisse zwischen national legitimierten Regierungen ändern daran nur wenig, wie die Vergangenheit zeigt. Schlimmer noch, immer wieder wurde diese Art von europäischer Ebene benutzt, um national umstrittene Politikmaßnahmen mit dem Verweis auf „Brüssel“ durchzusetzen. Auf diese Weise haben unter tätiger Mithilfe der EU –Kommission viele neoliberale Politikkonzepte ihren Weg in die nationale Volkswirtschaften gefunden, ohne dass sie je dort mehrheitsfähig gewesen wären. Im Ergebnis hat diese Politik dazu geführt, dass breite Kreise sich zu Recht von der Wohlstandsentwicklung abgehängt fühlen. Bei der Bewältigung der Krisen sind die Rechte der Arbeitnehmer in vielen Ländern mit Füßen getreten worden. Dies alles hat dazu geführt, dass viele soziale Fragen bei den etablierten Parteien nicht mehr glaubwürdig verankert sehen. Das ist der Humus, auf dem die Gegner Europas ihre politische Saat anbauen und ernten.
Die richtige Antwort auf diesen sichtbaren Verfall ist, Europa durch demokratische Reformen wiederzubeleben. Im Mittelpunkt muss vor allem Anderen ein starkes und mächtiges europäisches Parlament stehen, in dem europäische Politik aus europäischer Perspektive diskutiert und entschieden wird. Den derzeitigen Regierungen kann man diesen Prozess allerdings nicht alleine anvertrauen, denn sie verlieren durch diesen Weg an Macht und werden ihn daher überhaupt nicht oder nur unvollkommen beschreiten wollen. Will man Europa demokratisieren, ist dies Aufgabe der gesamten Zivilgesellschaft. Niemand, der Europa politisch vertiefen will, kann sich vor dieser Verantwortung drücken.
Und wer soll dazu noch Lust und Energie haben, sich mit den ganzen etablierten Politikern rumzustreiten um etwas Neues und Anderes zu bewirken? Wer mag den Karren aus dem Dreck ziehen, den macht- und geldgierige Eliten hineingetrieben haben? Wer will sich noch länger anhören, dass der Ausstieg Großbritanniens aus der EU ein „wirtschaftliches“ Desaster sei?
Ich möchte als Mensch wahrgenommen werden, nicht als Nummer zur Steigerung des Profits. Bei allen Debatten geht es um die arme Wirtschaft. Für die Menschen interessiert sich niemand. Was meinen Sie wohl, warum so viele Briten unter 30 Jahren der Abstimmung ferngeblieben sind und so viele 50- bis 85-jährige dran teilgenommen haben – vorausgesetzt, die Informationen, die ich gelesen habe, sind richtig – ?
Nicht nur ich habe mir Europa anders vorgestellt. Und wenn meine Enkel mich mal fragen, warum ich nichts gemacht habe, dann muss ich sagen: Ja, was denn? Was kann ich bewirken? Was kann ich tun, außer meine Unterschrift unter Kampagnen setzen?
Und glauben Sie wirklich, dass wir noch mehr EU-Parlament brauchen? Da sitzen ohnehin schon viel zu viele hoch bezahlte Politiker, die zuhause ausrangiert wurden. Warum hat nicht stattdessen jedes Parlament in Europa einen Abteilung für die EU, so wie es ja auch Abteilungen für Wirtschaft, Steuern usw. gibt. Reicht doch, wenn ein Teil des Parlaments die EU-Arbeit macht. Ich denke, gerade dieses EU-Parlament ist doch so weit weg von den Wählerinnen und Wählern. Das will ich nicht reformieren, das gehört abgeschafft und die Aufgaben auf die EU-Länder verteilt. Europa krankt doch gerade an seiner aufgeblasenen Bürokratie, Bürgerinnen-Ferne und Lobby-Hörigkeit.
Ich freue mich, dass es Menschen gibt, die es sich zur Aufgabe machen, Europa „restarten“ wollen. Aber was soll dieser Neustart sein? Ich weiß Ihr Engagement wirklich zu schätzen. Bloß kann ich mir nicht vorstellen, dass es was nützt, wenn nicht die gewohnten Wege verlassen werden. Von „demokratischen Reformen“ hab ich sowieso schon mal genug. Wenn ich mir die ganze Reformiererei ansehe, wird mir schlecht. Endet immer damit, dass wir weniger Rechte und weniger Geld in der Tasche haben. Diesem ganzen Irrsinn gehört ein Ende gesetzt. Vielleicht ist es ja gut, dass dieses marode System auseinanderfällt, dann ist mal Platz für was Neues. Bleibt zu hoffen, dass das auf friedlichem Weg geschieht.