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Ein politischer Präsident wird gebraucht – Steinmeier soll es richten

von Uwe-Karsten Heye

Die Einsicht, über keinen überzeugenden eigenen Kandidaten zu verfügen, wird Angela Merkel nicht leicht gefallen sein. Und so bleibt es bei der Übung, wenn es ein Problem gibt, das nur schwer lösbar ist: Steinmeier soll es richten. So war es schon im Kanzleramt, da war er für Analyse und Problemlösung zuständig. Eine gute Dekade später bedarf es nun seines Ganzkörpereinsatzes als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten.

Als Siegmar Gabriel mit diesem Vorschlag unabgesprochen nach vorne stürmte, gab es allerlei Getuschel über die Motive, die ihn angetrieben haben könnten. Prompt kam das Nein der Linken und bei den Grünen die Überlegung, mit einem eigenen Kandidaten oder einer Kandidatin in die Wahl zu gehen. Fast könnte man meinen, dass hinter dieser Reaktion Kalkül steckte, um es der Kanzlerin zu erleichtern, den eigenen Mangel an überzeugenden Persönlichkeiten für das höchste Staatsamt zu erkennen und mit dem Ja zu Steinmeier Vernunft walten zu lassen und eine Mehrheit in der Bundesversammlung zu ermöglichen. Dann könnten die beiden kleineren Oppositionsparteien beidrehen und dem Kandidaten ebenfalls ihre Stimmen und damit zusätzlich Gewicht für die Ausfüllung des Amtes in schwierigen Zeiten zu geben.

Damit wäre die Nachfolge des Predigers in Schloss Bellevue aus dem Tagesstreit heraus genommen. Solches Einvernehmen ist in einer Demokratie notwendig selten, in Zeiten wie diesen allerdings hoch Willkommen, zumal sich das Publikum ohnedies keinen besseren Kandidaten vorstellen kann. Das hätte in einer aufgewühlten und von den Rändern, besonders aber vom rechten Rand herausgeforderten Gesellschaft gewiss besondere Bedeutung.

Wer Steinmeier kennt, kann erwarten, dass er mit seiner Wahl, dazu ermutigen wird, dazu beizutragen, die Schwächen, Defizite und Widersprüche im Land beim Namen zu nennen und ihre Überwindung anzumahnen. Diese Aufforderung wäre in unterschiedlichste Richtungen notwendig. Das gilt für die Wirtschaftseliten im besondern Maß. Weder die Weltfinanzkrise, noch die Banken, die dafür wesentliche Verursacher waren, haben davon abgehalten, sich weiter neue Rekordsummen als Boni zu ohnehin üppigen Gehältern zu genehmigen. Besonders kriminell aktiv ist die Deutsche Bank, deren  Absturz vorhersehbar scheint. Ebenso die Automobilindustrie, in Sonderheit der Volkswagenkonzern, der mit Hilfe einer elektronischen Betrugssoftware seine Autos als ökologische  Spitzenprodukte verkaufte.

Die Folgen sind den Konzern-Vorständen, aber auch der Politik offenbar völlig gleichgültig. So auch einer Großen Koalition, die sich 21 Monate lang darüber gestritten hat, ob ein Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts zur Erbschaftssteuer den Gesetzgeber bindet. Schließlich die Einigung auf ein Gesetz, das die Anforderungen des Gerichts so verwässert, dass es sich sich voraussichtlich erneut mit dem Ergebnis beschäftigen wird.  Oder ein Finanzminister, der das Kindergeld um monatlich gerade mal zwei Euro erhöhen will, während die Zahl der Kinder in der Armutsfalle weiter steigend in die Millionen geht.

Kein Wunder, dass sich eine wachsende Zahl der Menschen an Wahlen nicht mehr beteiligt. Ihnen  könnte ein im besten Sinne politischer Präsident eine Stimme geben, die den rechtspopulistischen Trend stoppen und Zuversicht zurück bringt, in die Lösungskompetenz der offenen und demokratischen Gesellschaft und ihrer Spielregeln.

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Europa geht auch solidarisch

Europa geht auch solidarisch

von Klaus Busch und Dr. Axel Troost

Die in Europa um sich greifenden Re-Nationalisierungstendenzen sind aus politischen, ökonomischen und sozialen Gründen verhängnisvoll. Die Linke muss sich den Zerstörern der Europäischen Union in den Weg stellen.

Die Europäische Union (EU) ist schwer angeschlagen. Sie hat bis heute die nach der großen Finanzkrise einsetzende Eurokrise nicht überwunden. In der Flüchtlingskrise zeigt sie sich hilflos. Gegen die Nationalstaaten gelingt es ihr nicht, eine gemeinsame Migrationspolitik durchzusetzen. Die Austeritätspolitik war das falsche Mittel, um die Eurokrise zu bewältigen. Sie hat die ökonomischen und sozialen Ungleichgewichte in der Eurozone verschärft.

Die hoffnungsvollen Reformvorschläge der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2011 („Blaupause“) zur Überwindung der Defizite der Maastrichter Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion sind versandet. Die im Juncker-Report von den fünf Präsidenten im Jahre 2015 vorgeschlagenen „Reförmchen“ sind nicht geeignet, die gravierenden Ungleichgewichte in der Eurozone zu korrigieren. Vor dem Hintergrund dieser ungelösten Probleme der EU werden die rechtspopulistischen Rufe nach einer Rückkehr zum Nationalstaat lauter, und auch in der europäischen Linken wird über die Auflösung der Eurozone und die Rückkehr zu nationalen Währungen gestritten. Das Brexit-Votum in Großbritannien zeigt, dass der europäische Einigungsprozess nicht unumkehrbar ist.

In unserer VSA-Flugschrift „Europa geht auch solidarisch – Streitschrift für eine andere EU“ stellen wir uns diesem Trend entgegen. Wir kritisieren sehr ausführlich die Eurexit-Position, also die Abkehr von der gemeinsamen Währung, und fordern sechs radikale Reformschritte, deren Umsetzung die Eurozone und auch die EU stabilisieren würden.
Im Gegensatz zu den Eurexit-Forderungen machen wir deutlich, dass das Europäische Währungssystem (EWS), welches vor der Einführung des Euro ein System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse bildete, in keiner Weise als Vorbild betrachtet werden kann. Die Wechselkurse waren wegen verspäteter Anpassungen stark verzerrt, führten zu Ungleichgewichten im Außenhandel und luden die Finanzspekulation zu Attacken ein. Wegen dieser Verwerfungen ist das System schließlich faktisch zusammengebrochen.

Die Abkehr vom Euro gerade in den Staaten, die eine hohe Staatsverschuldung und große Leistungsbilanzdefizite aufweisen, würde eine massive Krise auslösen. Aufgrund der Abwertungen würden die Staatsschulden in nationaler Währung anwachsen und diesen Staaten steigende Schuldendienstleistungen bescheren. Gleichzeitig würden die Finanzmärkte höhere Zinsen für die Staatsanleihen verlangen. Der zu erwartende starke Zinsanstieg und die steigenden Schuldendienstlasten würden diese Staaten zu einer harten Sparpolitik zwingen, gleichgültig, ob sie links oder rechts regiert werden. In den aufwertenden Staaten wie Deutschland würde ebenfalls in einer Anpassungsphase eine Wachstums- und Beschäftigungskrise einsetzen. Die Wirtschaftskrise, welche die gesamte EU erfasste, würde protektionistische Maßnahmen und eine Abkehr vom Binnenmarkt auf den Plan rufen. Die EU geriete in eine massive Existenzkrise.

Vor dem Hintergrund dieser negativen Perspektiven einer Aufgabe der gemeinsamen Währung fordern wir sechs Radikalreformen, die den Euro und die EU dauerhaft stabilisieren würden. 1. statt Austeritätspolitik eine expansive, nachhaltige Wirtschaftspolitik, 2. eine Ausgleichsunion, die effektive Maßnahmen zur Überwindung der großen Leistungsbilanzungleichgewichte ergreift, 3. eine gemeinsame Schuldenpolitik, die durch Eurobonds und einen Tilgungsfonds zum Abbau der Staatsschulden beiträgt, 4. eine Sozialunion, die Indikatoren und Instrumente für eine gemeinsame Beschäftigungspolitik, eine gemeinsame Lohn- und Einkommenspolitik und eine gemeinsame Politik der sozialen Sicherungssysteme zum Inhalt hat, 5. eine Politik der harten Regulierung der Finanzmärkte, welche Spekulationsblasen an den Aktien-, Anleihe- und Immobilienmärkten die Luft abschnürt, und 6. eine demokratisch gewählte und kontrollierte europäische Wirtschaftsregierung, welche die Währungsunion durch eine gemeinsame Fiskalpolitik komplettiert.
Die in Europa um sich greifenden Re-Nationalisierungstendenzen sind aus politischen, ökonomischen und sozialen Gründen verhängnisvoll. Der Nationalstaat hat bereits im 19. Jahrhundert seine Janusköpfigkeit gezeigt. Er war einerseits Vehikel für die Demokratiebewegungen, hat aber andererseits schon sehr früh seine expansionistischen und imperialistischen Züge offenbart (Napoleons Eroberungskriege, Bismarcks Einigungskriege, Kolonialismus und Imperialismus).

Heute ist der Nationalstaat nicht in der Lage, die globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Klimawandels, der Migrationsbewegungen und des Terrorismus zu bewältigen. Die Welt braucht weniger Nationalstaat und mehr internationale Kooperation sowie internationale Organisationen, wie die EU, um diese Aufgaben zu bewältigen. Statt sich ins Fahrwasser der Re-Nationalisierung zu begeben, muss die Linke für den Erhalt des europäischen Einigungswerks kämpfen und sich den neoliberalen und den rechtspopulistischen Zerstörern Europas in den Weg stellen!

Klaus Busch / Axel Troost /Gesine Schwan / Frank Bsirske /Joachim Bischoff /Mechthild Schrooten / Harald Wolf
Europa geht auch solidarisch! Streitschrift für eine andere Europäische Union
88 Seiten, November 2016, EUR 7.50, ISBN 978-3-89965-745-6

Bestellbar im VSA Verlag unter  http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/europa-geht-auch-solidarisch

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Der Nobelpreis für Literatur erinnert an ein besseres Amerika

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von Uwe-Karsten Heye

Diese Norweger haben es geschafft, mit der Preisverleihung an Bob Dylan an einen Amerikaner zu erinnern, der dazu beitrug, gegen den hässlichen, von Kriegsverbrechen gezeichneten Vietnamkrieg mit seinen poetischen Liedern Kräfte zu mobilisieren, die in Indochina den längsten Krieg der Neuzeit nach 15 Jahren beenden halfen. Er war der Poet einer Generation, die – jedenfalls auf Zeit – das Beste erkennbar machte, was diesem Land verfügbar war: eine widerständige junge Generation, die weltweit ein Vorbild war, und den Generälen die Gefolgschaft verweigerte. „Make love not war“ wies den Weg aus der Sackgasse der verlorenen Ehre der USA. Sie hatten tonnenweise die chemische Waffe Agent Orange auf Vietnam regnen lassen.

Es war die Macht des gesungenen Wortes – „times are changing“, die den Gezeitenwechsel einer auf das Militärische reduzierten Außenpolitik des Henry Kissinger in Gang brachte und den Sturz des Präsidenten Richard Nixon über Watergate beflügelte. Bob Dilan, der Song-Poet, der Lyrik in Noten setzt und zeigte, wie viel Kraft sich aus künstlerischer Transformation entwickeln kann.

Die Begeisterung, die der Nobelpreis für Bob Dylan nicht nur in Europa ausgelöst hat, kommt zu einer Zeit, da die USA erneut an einer Bruchlinie stehen, die von Donald Trump gezogen wird. Er ist der schäbige Vertreter eines entfesselten Kapitalismus`, der wie der Ziehvater der kleinkriminellen Anführer der „europäischen Patrioten“ in Dresden wirkt. Die dem christlichen Abendland nachweinenden Montagsmaler des Untergangs finden sich aber derzeit an vielen Orten der Welt. Auch in Europa.

Gott bewahre uns davor, dass diese Geisteshaltung auch noch das waffentechnisch bestgerüstete Land der Welt unter seine Fuchtel nehmen kann. Dagegen steht ein Amerika, das es immer wieder geschafft hat, nicht vollends aus der Kurve getragen zu werden. Bob Dylans wunderbare Lyrik, seine aufmerksamen Texte und seine bis in das fünfundsiebzigste Lebensjahr reichende kritische Haltung gegenüber falschen Tönen haben ihm zu vielen Preisen verholfen, Grammies und den Oskar und jetzt den Nobelpreis.

Die Weisheit der norwegischen Jury für den diesjährigen Nobelpreis für Literatur ist geradezu preiswürdig. Sie wird sich begnügen müssen und können mit dem weltweiten Beifall für eine Entscheidung, die ermutigt daran zu glauben, dass der blaue Planet trotz der ihn immer wieder gefährdenden Menschheit überleben wird.