Gelernt von CETA
von Prof. Dr. Gesine Schwan
Das Tauziehen mit dem Parlament der Wallonie um CETA hat zweierlei gezeigt:
- Es wird immer wichtiger einzusehen, dass langfristige politische Abkommen ausführlich und klar öffentlich diskutiert werden müssen, wenn sie eine tragfähige Zustimmung bekommen sollen.
- Öffentliche Diskussionen führen keineswegs ins Chaos. Ja: Demokratie ist in einer komplizierten Welt mit vielen unterschiedlichen Interessen nicht einfach zu realisieren. Aber sie ist möglich.
Eine traditionelle Frage der Theorie der Demokratie richtet sich darauf, wie man effektives Regieren mit der Verhinderung von Machtmissbrauch durch checks und balances vereinbaren kann. Wer nicht glaubt, dass Bürgerinnen und Bürger sich verständigen können, wer ihnen gegenüber prinzipiell misstrauisch ist, plädiert für’s „Durchregieren“ ohne Hindernisse. Aber damit bekommen wir keine Demokratie zustande. Auch nicht mit einer scheinbaren Effizienz, die Politik ins Hinterzimmer verlegt und dort stillschweigend entscheidet.
Jahrelang ist in der Europäischen Union – nicht zuletzt unter dem Einfluss der deutschen Bundesregierung – Politik als öffentlich möglichst unauffälliges Geschäft betrieben worden, auf „Sichtweite“, zugleich intransparent und nicht kontrollierbar. Das hat sich gerächt: Die Bürger misstrauen der Union gründlich, wie überhaupt zunehmend demokratischer Politik.
Aus dem Umgang mit CETA konnten wir lernen: Es geht auch anders. Sigmar Gabriel hatte Recht, das Abkommen nicht als reine EU-Angelegenheit zu behandeln, sondern die nationalen Parlamente darüber abstimmen zu lassen. Nur so war die Öffentlichkeit herzustellen, die wir für ein nachhaltiges Abkommen, bei dem Für und Wider abgewogen gründlich abgewogen werden müssen , brauchen. In den letzten Tagen der Aufmüpfigkeit der Wallonie konnten wir übrigens bei genauerem Hinschauen erkennen, dass die Probleme der belgischen Region weit über sie hinaus Bedeutung haben, in der EU und sogar in den USA. Dort stammen Trump-Wähler häufig aus wirtschaftlich abgehängten Regionen ohne Perspektive.
Wir müssen Wege finden und mehr Fantasie ebenso wie langfristiges Denken aufbringen, um den unvermeidlichen Strukturwandel der Wirtschaft sozial verträglich zu gestalten. Überall wo Regionen mit heruntergekommenen Industrien sich selbst überlassen bleiben und sich keine Antworten finden, um neue Perspektiven für die Menschen aufzutun, verlieren diese den Glauben an die Demokratie – vordergründig an die europäische, aber im Grunde auch an die nationalstaatliche.
Hier liegt eine zentrale Herausforderung an die nächst Zukunft, in Europa, aber auch in den Nationalstaaten. Die vorläufige Lösung für CETA macht uns Mut.