Kommentar zur Wahl in Spanien
Auch nach den Wahlen vom 26. Juni existiert in Spanien ein politisches Patt. Die Neuwahlen haben keine grundsätzlich veränderte Konstellation gegenüber dem Wahlergebnis vom Dezember des letzten Jahres hervorgebracht. Zwar konnte die konservative Partido Popular (PP) des amtierenden Ministerpräsidenten Rajoy ihren Stimmenanteil erhöhen, allerdings überwiegend auf Kosten der liberalen Ciuadadonos. Unidos Podemos, das Bündnis der aus der Bewegung der „Indignados“ hervorgegangenen Podemos und der Izquierda Unida verfehlte ihr Ziel zweitstärkste politische Partei vor der sozialdemokratischen PSOE zu werden deutlich. Zwar konnte sie ihr prozentuales Ergebnis vom Dezember im Wesentlichen halten, verlor aber insgesamt 1,2 Millionen Stimmen gegenüber den Wahlen vom Dezember. Obwohl noch immer zweitstärkste Partei verlor die PSOE fünf Sitze und erzielte ihr schlechtestes Ergebnis der jüngeren Geschichte.
Mit diesem Wahlergebnis befindet sich Spanien in einer politischen Krise. Die durch Korruptionsskandale diskreditierte PP wird es schwer haben einen Koalitionspartner zu finden. Der Vorsitzende der PSOE, Pedro Sanchez, machte rasch klar, dass er nicht mit Rajoy koalieren werde und ihm auch nicht durch eine Enthaltung die Bildung einer Minderheitsregierung ermöglichen werde. Denkbar wäre zwar eine Mehrheitsbildung aus PSOE und Unidos Podemos mit Unterstützung linksnationalisitischer Abgeordneter aus Katalonien – dies ist jedoch unwahrscheinlich. Die Wahrung der Einheit des spanischen Staates ist für die PSOE nicht verhandelbar und ein Zusammengehen mit nationalistischen Parteien kaum denkbar – das machte der immer noch sehr einflussreiche ehemalige Ministerpräsident Felipe Gonzalez deutlich. Wie auch immer die jetzt beginnenden Sondierungsgespräche über eine Regierungsbildung bringen werden, eines scheint sicher: Spanien geht einer Phase großer politischer Instabilität entgegen.
Gleichzeitig befindet sich Spanien nach wie vor in einer tiefen Wirtschaftskrise. Zwar hält Wolfgang Schäuble Spanien für ein Beispiel gelungener Krisenbekämpfung unter der Aufsicht der Troika aus EZB, IWF und Eurogruppe. Die Fakten sprechen jedoch eine andere Sprache: Dass Spanien 2015 ein Wachstum von 3,2 Prozent verzeichnen konnte scheint Schäuble auf den ersten Blick zu bestätigen. Aber ein genauerer Blick zeigt eine nach wie vor dramatische wirtschaftliche und soziale Situation: Spaniens BIP liegt noch immer unterhalb des Vorkrisenniveaus .Die Industrieproduktion brach in der Krise um ca. 40 Prozent ein. Die Arbeitslosigkeit ist mit mehr als 20 Prozent die zweithöchste in Europa nach Griechenland ist und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 50 Prozent. Die schlecht bezahlten, ungesicherten Arbeitsverhältnisse haben sprunghaft zugenommen. Sie stellte die spanische Statistikbehörde fest, dass drei von vier neu geschaffenen Arbeitsverhältnissen befristet sind. Die zeitlich befristete Beschäftigung – häufig über nur wenige Wochen oder Monate – macht bereits als 25 Prozent aller Arbeitsverhältnisse in Spanien aus. Auch das von der Regierung Rajoy im Wahlkampf als Erfolg verkaufte Sinken der Arbeitslosigkeit entpuppt sich bei näherem Hinsehen als bloßer statistischer Effekt. Denn das Sinken der registrierten Arbeitslosigkeit korrespondiert nicht mit einem Anwachsen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten: diese hat sich seit dem Amtsantritt der Rajoys sogar verringert. Hinter dem Rückgang der Zahl der registrierten Arbeitslosigkeit verbirgt sich eine Abwanderung zum einen von Ausländern, die einst als Arbeitsmigranten nach Spanien kamen und nun in anderen Ländern Beschäftigung suchen. Zum anderen haben viele junge Spanier das Land auf der Suche nach Arbeit verlassen. Gleichzeitig ist ein Anwachsen der Schattenwirtschaft zu verzeichnen.
Dass Spaniens Wirtschaftsleistung 2015 gewachsen ist und nach allen Prognosen auch 2016 wieder wächst, hat einen einfachen Grund: nach einem massiven Abbau des Staatsdefizits in 2013 fanden seit 2014 keine massiven Einschnitte mehr statt. Sogar die öffentlichen Investitionsausgaben stiegen wieder leicht an. Gleichzeitig wuchs das Staatsdefizitwieder: Nach der Frühjahrsprognose der Kommission hatte Spanien das Jahr 2015 mit einem Defizit von 5,1 Prozent abgeschlossen und gilt damit nach Griechenland als der zweitgrößte „Defizitsünder“. Nach Auffassung der EU-Kommission müsste Spanien sein Defizit auf 2,8 Prozent zurückfahren, allerdings hatte die Kommission angesichts der bevorstehenden Wahlen eine Entscheidung im Defizitverfahren und die Verhängung möglicher Strafgelder angesichts der anstehenden Neuwahlen in den Juli vertagt. Aber die Empfehlung der Kommision ist klar: „eine dauerhafte Korrektur des übermäßigen Defizits 2016 beziehungsweise 2017“, „notwendige Strukturmaßnahmen“ und die Nutzung aller Budgetgewinne für die Schuldenreduzierung. Sollte dies umgesetzt werden, würde die so und so schon auf tönernen Füßen stehende wirtschaftliche Belebung wieder abgewürgt werden. Ein neuer Schub von Europa verordneter Austerität hätte nicht nur gravierende wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, sondern wäre ein weiterer Schritt zur Desintegration Europas.
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